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Ein Stich

München Auf dem Oktoberfest trifft die High Society nachts auf pöbelnde Rassisten. Und dann? Ein Lkw-Fahrer verliert seine Milz, eine Mutter sitzt im Gefängnis – und ein Millionär glaubt, er könne alles kaufen

War es Notwehr? Die Angeklagte mit ihrer Verteidigerin Annette Voges (l.) im Münchner Landgericht, Voges fordert Freispruch Foto: Sven Hoppe/ dpa

von Patrick Guyton

Vor seinem Plädoyer holt Gerhard Strate zu einer Gardinenpredigt aus. „Industriefürsten und Wirtschaftskapitäne“ seien am Tisch Nummer 178 im Käfer-Zelt auf dem Oktoberfest gesessen. „Alle sind stiften gegangen wie die Hasenfüße“, poltert der Strafverteidiger und wiederholt noch eindringlicher: „Wie die Hasenfüße!“ Einzig die 34-jährige Melanie M. habe sich eingemischt, als beim Rausgehen vor dem Nobel-Festzelt ein Schwarzer rassistisch beschimpft wurde. Einzig Melanie M. habe „geradlinigen Charakter gezeigt“. Auch ihr Lebensgefährte Detlef F., so zürnt Strate, sei ein „Totalausfall“ gewesen. Statt zu helfen, habe der Hamburger Millionär lieber die Security und den gebuchten Wagen mit Fahrer gesucht – „und ließ die Mutter seiner Kinder allein zurück“.

Wohl kalkuliert überzieht der Strafverteidiger den Mann mit Kritik, von dem er auch bezahlt wird. Denn Strate verteidigt einzig dessen Verlobte Melanie M. Und nicht den Millionär Detlef F., der in diesem Prozess eine mehr als zweifelhafte Rolle einnimmt. Das ist die Botschaft.

In der Nacht vom 19. auf den 20. September 2015, , dem ersten Tag des Oktoberfestes, ereignete sich vor dem Käfer-Zelt der schwerste gewalttätige Zwischenfall der vergangenen Wiesn.

Normalerweise berichtet die Polizei täglich von Maßkrug-Schlägen, versuchten Vergewaltigungen oder Diebstählen. Melanie M. aber stach dem 33 Jahre alten Lkw-Fahrer Markus S. ein Messer in den Leib. „Mit Wucht zwischen den achten und neunten Rippenbogen“, beschreibt die Staatsanwältin Melanie Lichte die Tat. Es kam zu einem „Durchstich der Milz“ und einem Blutverlust von zwei Litern. In einer Notoperation wurde S. das Leben gerettet, die Milz wurde entfernt. „Ohne medizinische Hilfe wäre er gestorben“, so Lichte. Melanie M. aber war zu diesem Zeitpunkt schon weitergezogen. Die illustre Gruppe um sie und ihren Verlobten Detlef F. war zum Feiern in den Edelclub P1 gefahren.

Seit zehn Monaten sitzt Melanie F. in München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Vor dem Landgericht München wurde sie zuerst des versuchten Mordes angeklagt. Die Strafe dafür beträgt „lebenslänglich“. Vergangene Woche stufte die Staatsanwaltschaft jedoch nach der Beweisaufnahme die Tat als versuchten Totschlag herab und verlangt fünf Jahre Gefängnis. Die Verteidigung sieht eine Notwehrhandlung und fordert Freispruch.

Was war geschehen? Unter den Gästen im Zelt von Feinkosthändler und Festwirt Michael Käfer, wo sich Promis und deren vielfältiger Anhang tummeln, sind am ersten Wiesn-Abend 2015 auch der Lkw-Fahrer Markus S. und ein Freund von ihm. Sie stehen in der Nähe der Gruppe um Detlef F., zu der auch der schwarze ehemalige Fußballnationalspieler Patrick Owomoyela gehört. Markus S. und sein Freund fangen an, die Gruppe zu provozieren. Sie giften Owomoyela an, beschimpfen ihn: „Jetzt sind schon die Flüchtlinge auf der Wiesn.“ Weitere rassistische Beleidigungen folgen.

Es kommt zum Gerangel, Owomoyela streckt den Freund von S. kurzzeitig zu Boden. Dann wird im Zelt Feierabend gemacht, alle Gäste verlassen den Saal. Doch draußen kommt es erneut zu Beleidigungen, zu Anfeindungen. Melanie M. mischt sich ein. Sie beschimpft Markus S. und seinen Freund als „primitiv“, als „Rassisten“ und „rechtsradikale Hooligans“. S. soll ihr geantwortet haben: „Schleich dich, du lässt dich doch von dem Bimbo vögeln.“

An diesem Punkt gehen die Darstellungen auseinander, direkte Zeugen für die Tat gibt es nicht. Melanie M. sagt, der Lkw-Fahrer habe sie „attackiert, beleidigt und gepackt“. S. habe „irre“ gewirkt, sagt ihre Verteidigerin Annette Voges im Plädoyer, mit „stierem Blick“ habe er die Frau massiv bedroht und angegriffen.

Daraufhin holte Melanie M. ein acht Zentimeter langes und zwei Zentimeter breites Springklappmesser aus der Handtasche und stach zu. Das Messer hatte sie, so ihre Aussage, vor eineinhalb Jahren in London gekauft und trug es seitdem in der Handtasche mit sich. Nach dem Stich warf sie es weg. Sie habe nicht einmal gemerkt, ob sie getroffen hatte. Das Messer wurde nie gefunden, wahrscheinlich haben es Reinigungsmaschinen in der Nacht beseitigt.

Laut Markus S. war der Streit schon vorüber, als Melanie M. zustach. Mit „Schleich dich“ habe er das Geschehen beendet, sei allein weitergegangen. Die Situation sei „unangenehm, aber nicht bedrohlich“ gewesen, so Staatsanwältin Lichte. Melanie M. soll dann aber erneut zu S. gegangen sein und ihm das Messer in den Körper gerammt haben. Ein „mehraktiges Geschehen“, konstatiert Nicole Lehmbruck, die Nebenklage-Anwältin des Lkw-Fahrers. Das Motiv der Tat: „Wut und Zorn über die Beleidigungen“. Im P1 habe dann M. „die Fassade aufrechterhalten“ wollen und sagte nichts, da es ihr um „die Heimlichkeit des Stichs“ gegangen sei.

Melanie M. ist die Lebensgefährtin von Detlef F., 62 Jahre alt, stadtbekannter Millionär aus Hamburg und Immobilien-Unternehmer. Mit Melanie M. an seiner Seite zeigte er sich überall in der Hamburger Schickeria. Die Boulevardpresse nennt sie „Millionärs-Freundin“. Der Frau ging es allerdings weniger um Luxus als um das Wohl ihrer drei Kinder – zwei besuchen die Schule, eins ist noch im Kindergarten.

Wem kann man glauben?

Der Prozess um das Geschehen ist verstörend. Nichts passt zusammen. Das sieht man an den ratlosen, widersprüchlichen Reaktionen des Gerichtspublikums, das sich stets vorab eine feste Meinung bildet. Man raunt über die Mutter, ob die Situation tatsächlich so bedrohlich gewesen sein mag. Von der Glaubwürdigkeit des rechtsradikalen Opfers, das massiv unter Alkohol und Drogen stand, hält man aber auch nicht viel. In der Wohnung von S. stieß die Polizei auf eine ganze Zucht von psychoaktiven Drogenpilzen. Ein Prozessbeobachter nennt ihn eine „Dumpfbacke“.

Alle Beteiligten waren völlig betrunken in der Tatnacht. S. und sein Freund hatten einen Blutalkoholwert von 2,2 Promille. Melanie M. gab an, mehrere Maß Bier, Sekt und Schnaps getrunken zu haben. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, dass sie vom P1 in die Mietwohnung gefahren wurde und sich dort übergeben musste.

Die Zeche für das Gelage zahlte Detlef F. Und er zahlt weit mehr, um seine Verlobte zu entlasten und einen Freispruch zu erzwingen. Er hat drei der bekanntesten Strafverteidiger der Republik für den Prozess engagiert: Annette Voges aus Hamburg, den Münchner Steffen Ufer sowie Gerhard Strate.

Nach dem Stich wirft sie das Messer weg. Es wurde nie gefunden. Wahrscheinlich haben es Reinigungsmaschinen in der Nacht als Müll beseitigt

Letzterer hatte im Jahr 1995 das Wiederaufnahmeverfahren für Monika Weimar durchgesetzt, die wegen Mordes an ihren beiden Kindern verurteilt worden war. Und Strate war der Verteidiger des langjährigen Psy­chiatrie-Insassen Gustl Mollath. Detlef F. engagierte für 20.000 Euro einen Detektiv, so berichtet Anwältin Nicole Lehmbruck, der über Wochen hinweg ihren Mandanten Markus S. überwachte – „ohne Ergebnis“.

Und F. kaufte – das gehört in die Kategorie „schlechter Film“ – einen falschen Zeugen. Ein Schweizer gab vor Gericht an, das Geschehen beobachtet zu haben, und äußerte sich entlastend für Melanie M.

Er wurde verhaftet und packte dann aus: F. bot ihm 100.000 Euro für die Aussage und weitere 100.000, wenn die Verlobte freigesprochen werde. Der Schweizer war noch nie auf dem Oktoberfest. Ihn und Detlef F. erwarten nun Gerichtsverfahren wegen Falschaussage und der Anstiftung dazu. Von dem Treiben ihres Lebenspartners will Melanie M. nichts gewusst haben, ebenso wenig wie die Verteidigerriege. Anwältin Voges gesteht ein, dadurch einen „schweren Stand“ zu haben.

Melanie M. sitzt auf ihrem Stuhl im Gerichtssaal B 275, sie trägt einen schwarzen Blazer, ein helltürkises Halstuch, ihre einst blondierten Haare sind nachgedunkelt. Sie weint immer wieder, schluchzt, schnieft in ihr Taschentuch. „Das ist ihre Grundhaltung“, sagt ein Beobachter.

Die Staatsanwältin resümiert das Verfahren: „Wir haben gesehen, was passiert, wenn Geld keine Rolle spielt.“ Die Verteidigerin appelliert: „Lassen Sie diese Mutter endlich wieder zu ihren drei kleinen Kindern.“

Am heutigen Mittwoch wird das Landgericht München das Urteil sprechen.

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