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Bremerhavens QualenDie Stimmen des Volkes

Am Dienstag berät Bremens Staatsgerichtshof über den Ausgang der Bürgerschaftswahl von Mai 2015 – und wie verschollene Wahlbücher zu bewerten sind

Keiner weiß, wo Bremerhavens fehlende Stimmzettel gelandet sind Foto: Emil Wabisch (dpa)

BREMEN taz | Was er wählt, das weiß kein Wähler. Besonders ausgeprägt ist dieses Unwissen aber in Bremerhaven. Dort liegt die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft nun ein und ein Viertel Jahr zurück, und noch immer steht nicht ganz fest, wofür die Leute dort gestimmt haben. Am Dienstag wird Bremens Staatsgerichtshof diese Unklarheit entweder beseitigen oder noch vertiefen.

Denn, nachdem er den gesamten Wahlbezirk Bremerhaven während zehn Tagen Anfang Juli neu hat auszählen lassen, haben die auffindbaren Stimmzettel zwar bestätigt dass, wie ursprünglich gedacht, die AfD mit 4,9 und ein paar Zerquetschten knapp, aber verdient, an der fünf Prozent Hürde gescheitert war, weshalb ihr Spitzenkandidat Thomas Jürgewitz, der aus dem Umland kurz vor der Wahl in sein Elternhaus zurückgezogen war, draußen bleiben müsste – und möglicherweise, zum Missvergnügen seiner Nachbarn, wieder nach Hagen im Kreis Cuxhaven umsiedeln könnte.

Aber nach einem dreiviertel Jahr Rechtsstreit – kurz vor Weihnachten hatte das Wahlprüfungsgericht aufgrund der von ihr monierten Stimmzettel der AfD Bremerhaven einen Parlamentssitz zuerkennen zu müssen geglaubt, doch dieses Resultat hatte dann der Landeswahlleiter wiederum angefochten – hat sich Jürgewitz Abstand vom Platz in der Bürgerschaft auf nur 17 Kreuzchen verringert. Zudem ist in manchen Wahllokalen BürgerInnen, die sich nicht ausweisen konnten, die Stimmabgabe verweigert worden, möglicherweise zu Unrecht. Und zugleich hat sich das Ärgernis der verschwundenen Stimmzettel vergrößert: Ursprünglich galten 13 als vermisst. Bei der Neuauszählung waren hingegen 22 nicht auffindbar.

Was man nun mit denen macht, verlangt nach Antworten von geradezu scholastischer Spitzfindigkeit: Sie als ungültig werten – wäre unfair, weil alle Protokolle dafür sprechen, dass sie abgegeben worden waren – die Voten waren bunt gemischt, wie es heißt und nicht besonders rechtslastig. Die protokollierten Stimmen einfach zuzugestehen – wäre aber ohne Überprüfbarkeit auch keine befriedigende Lösung.

Nun hätte zwar der Staatsgerichtshof die Macht, nach der Verhandlung am Dienstag zur Beseitigung der Unklarheit eine Nachwahl in den betroffenen Stimmbezirken anzuordnen, aber er könnte das auch für nicht verhältnismäßig und das Wahlergebnis in noch stärkerem Maße verzerrend halten. Schließlich wüssten ja die WählerInnen, was sie wählen müssten, nicht nur, um Jürgewitz triumphieren zu lassen, sondern auch, um beispielsweise einzelne Abgeordnete abzustrafen: So war Turhal Özdal für die Grünen angetreten und hatte knapp mehr Personenstimmen als eine Parteikollegin. In der Fraktion fiel er dann vor allem durch seine Erdoğan-Begeisterung auf. Mittlerweile gehört er der CDU an.

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