: Meister Éder und sein Ronaldo
Finale Nachdem Ronaldo ausschied, stellte Portugals Trainer Santos erfolgreich um
Aus Paris Johannes Kopp
Nicht schon wieder! Nicht schon wieder eine Ronaldo-Geschichte! Nicht nach diesem Finale gegen den Gastgeber Frankreich! Tragisch war er gewiss, dieser verzweifelte Kampf von der 8. bis zur 25. Minute um einen weiteren großen Eintrag in die Geschichtsbücher bei dieser Europameisterschaft. Doch dann ging es nach zwei nicht wirksamen Behandlungspausen einfach nicht mehr. Das derbe Einsteigen von Dimitri Payet zwang Ronaldo zur tränenreichen Aufgabe. Bühne frei also für die anderen. Und die haben sie hervorragend genutzt. Dabei stach derjenige hervor, der den entscheidenden Schuss in der 109. Minute abgab, der gleichbedeutend mit dem ersten großen Titelgewinn für dieses Land ist: Éder.
Dennoch wertete Matchwinner Éder Ronaldo zu einer spielentscheidenden Figur auf: „Er hat uns allen Mut gegeben, wir waren in der Lage, für ihn und für die Portugiesen zu gewinnen.“ Der 28-jährige Éder hat eine leidensreiche Saison hinter sich. Vom Premier-League-Klub Swansea City war Éder wegen chronischer Erfolglosigkeit vor wenigen Monaten zum OSC Lille abgeschoben worden. Mitbekommen hat das fast keiner. Es hätte kaum einen stärkeren Kontrast geben können, um zu veranschaulichen, wie sehr die großen Stars von den besonderen Momenten der Mittelklasse abhängig sind. Dieses Finale in Paris konnte gar als Geschichte der Emanzipation des portugiesischen Teams von Ronaldo gelesen werden.
Es war durchaus bemerkenswert, wie wenig sich Portugal von dessen Ausfall aus der Ruhe bringen ließ. Trainer Fernando Santos, der immer nur über das Team reden möchte, räumte hinterher ein, dass das Spiel der Portugiesen natürlich auf den weltbesten Fußballer zugeschnitten sei.
In einer Form allerdings, die wenig berechenbar ist. Keine Mannschaft konnte bei dieser EM dieses Team und Ronaldo zugleich ausschalten. Und im Endspiel legte Santos gezwungenermaßen die größte Reifeprüfung ab – es geht auch ohne den Leitwolf. Über welch große strategische Optionen der neue Europameister verfügt, zeigte der Umstand, dass letztlich erst der Plan C verfing. Éder, erzählte Santos, sei ein Einwechselkandidat für Ronaldo gewesen. Es wäre taktisch gesehen ein 1:1-Austausch gewesen. Doch der Trainer bevorzugte einen Strategiewechsel, brachte den wendigeren Stürmer Ricardo Quaresma und ließ Nani zentraler spielen.
Die hervorragende Defensivstruktur funktionierte bislang ohnehin ohne großes Zutun von Ronaldo. Als man Frankreich wie alle anderen Gegner zuvor an dem Punkt hatte, dass die Verzweiflung und Erschöpfung offensichtlich wurde, belebte Fernando Santos in der 79. Minute die bis dahin unauffällige Offensive mit Éder. Ronaldo würdigte den Anteil von Santos am Sieg: „Ich habe immer geglaubt, dass diese Spieler mit der Strategie des Trainers stark genug sind, Frankreich zu schlagen.“
Portugal hat sich als das zäheste Team dieser Europameisterschaft erwiesen. Auf der Suche nach einer Rezeptur gegen dieses vorsichtig abwartende, ballsichere Spiel ist in den letzten Wochen keiner fündig geworden. Irgendwann, wenn auch meistens spät, kam immer der große Moment der portugiesischen Mannschaft.
Im Finale ließ er bis zur 109. Minute auf sich warten. Aber mit zunehmender Spieldauer hatte man schon eine Ahnung davon bekommen, dass er kommen würde. Fast zeitlupenhaft wirkte es dann, wie der von Éder aus gut 20 Metern getretene Ball sich dem Tor näherte. Es war ein Schuss ohne Dynamik und Glanz, aber von großer Effizienz – ganz so wie der Auftritt der Portugiesen bei diesem Turnier.
Europameister ist eine Mannschaft geworden, die in der Vorrunde mit drei Unentschieden lediglich Dritter wurde und im ganzen Turnier über 90 Minuten nur ein einziges Spiel gewann. Effizienter geht es wohl kaum.
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