piwik no script img

Das Ende des deutschen Fanwahns

Schwarz-Rot-Geil? Warum die Fahnen nicht wehten

von Andreas Rüttenauer

Schwarz-Rot-Gold ist nicht mehr witzig. Wo waren in den vergangenen vier Wochen all die drolligen Typen, die grinsend mit überdimensionalen schwarz-rot-goldenen Flipflops durch die Innenstädte flanierten? Wo waren die Fanfeuerzeuge, die Schattenspender für das Biergartenbier, die aufblasbaren Klopfschläuche, die Hundehalsbänder in den Deutschlandfarben? Nur noch ein paar Autos waren beflaggt und beinahe jeder Balkon, aus dem ein schwarz-rot-goldener Lappen hing, schaffte es in die Lokalpresse. Sogar auf die Fanmeilen konnte man gehen, ohne kritisch beäugt zu werden, weil Fan-­Accessoires fehlten. Ein EM-Spiel zu schauen, ist ein gutes Stück normaler geworden.

Den einen Grund dafür gibt es nicht. Einer mag die Sattheit der Fans der Weltmeistermannschaft sein. Wer alles gewonnen hat, muss es niemandem mehr zeigen. Und dann ist da die Behauptung von der Unverkrampftheit, mir der viele Deutsche seit der Heim-WM 2006 ihre Zugehörigkeit zu Deutschland ausgedrückt haben. In Zeiten von Pegida und AfD mag sich der eine oder die andere schwertun mit jeglicher Art von unverkrampfter Beflaggung. Auch darüber ist schon viel nachgedacht worden. Auch dafür, dass die Eventisierung des Fußballs an seine Grenzen gestoßen sein könnte, gibt es Indizien.

Die Spurensuche wird weitergehen. Und so mancher mag tatsächlich traurig sein, dass es vielleicht nie wieder so wird wie in jenem irren Sommer anno 2006.

Der ist mittlerweile gut erforscht und alle, die es wissen wollen, können nachlesen, dass es in Wahrheit gar nicht so unverkrampft war, wie da gefeiert wurde. Ein Trotzstolz schwang damals bei nicht wenigen Fahnenschwenkern mit. Man wollte zeigen dürfen, dass man wieder wer war. Das Sommermärchen hatte einen gehörigen Albtraumanteil.

Dass in diesem Turniersommer weniger Fahnen gezeigt wurden, heißt gewiss nicht, dass der Trotzstolz verflogen ist. Aber für das Auge war es durchaus eine Wohltat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen