: Stilfragen in Stuttgart
Ba-Wü CDU und Grüne haben in ihrer Koalitionsvereinbarung teure Geheimabsprachen getroffen, die selbst den Fraktionschefs nicht bekannt waren. Die Opposition zürnt
Aus Karlsruhe Benno Stieber
Das hat mindestens ein „G’schmäckle“, wie man im Südwesten sagt. Die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg hat nicht nur einen ziemlich detaillierten Koalitionsvertrag ausgehandelt – sondern auch ein zwölfseitiges Geheimpapier, das dem Koalitionsvertrag offen widerspricht, wie jetzt bekannt wird. Dort steht: „Für alle finanzwirksamen Maßnahmen gilt ein Haushaltsvorbehalt“. Die geheimen Nebenabreden sehen dagegen Investitionen von über 2 Milliarden Euro vor, die unabhängig von der Haushaltslage bis 2021 durchgeführt werden sollen.
Gerüchte, dass es neben dem Koalitionsvertrag weitere Vereinbarungen geben könnte, gab es schon seit der Regierungsbildung. Sie wurden aber von der Landesregierung nie bestätigt. Jetzt liegt das Papier offenbar der Südwestn Presse vor. Die Zeitung schreibt von einer Liste mit 43 Maßnahmen, die ausdrücklich vom „Haushaltsvorbehalt“ ausgenommen sind: etwa die Digitalisierung des Landes, die Ausstattung der Polizei, Förderung von Wohnraum oder bessere Kinderbetreuung.
Inhaltlich dürfte diese Liste selbst bei FDP und SPD auf wenig Widerstand stoßen, denn die aufgeführten Investitionen sind zweifellos Zukunftsthemen, die das Land in Angriff nehmen muss. Die Opposition sieht aber in der Tatsache, dass diese Absprachen geheim getroffen worden sind und selbst den Regierungsfraktionen nicht bekannt waren, eine Missachtung des Parlaments.
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rühlke sprach von einer „unglaublichen Respektlosigkeit“. Kretschmanns ehemaliger Kultusminister und jetziger Oppositionsführer Andreas Stoch (SPD) sagte, so werde die demokratische Kultur mit Füßen getreten. Für Mittwoch beantragte er im Landtag eine Aktuelle Stunde.
Regierungskreise rechtfertigen sich, man habe nie bestritten, dass es geheime Nebenabsprachen gebe. Die „Politik auf Pump“ zu beenden sei weiterhin das Ziel. Die Investitionen, die im Papier genannt werden, müssten an anderer Stelle im Haushalt eingespart werden. Offen bleibt, warum diese Verabredung dann geheim gehalten wurde.
Für Winfried Kretschmann ist die Debatte misslich. „Politik ist eine Stilfrage“ war sein Wahlkampfslogan. Immer wieder weist er darauf hin, dass Tricksereien die Demokratie beschädigen. Jetzt scheint Kretschmanns politische Etikette zum Etikettenschwindel zu werden.
Und das nicht zum ersten Mal. Bereits nach dem Regierungsantritt mit der CDU berief Kretschmann zum Teil verdiente Regierungspräsidenten mit SPD- und FDP-Parteibuch ab und ersetzte sie durch Kandidaten der Regierungskoalition. Konnte man das noch als legitime Personalpolitik rechtfertigen, sorgte vergangene Woche eine weitere Personalie für Aufsehen. Da wurde bekannt, dass Kretschmanns ehemalige Staatsministerin, die frühere grüne Landeschefin Silke Krebs, auch nach ihrem Abschied aus der Politik weiter den gut dotierten Aufsichtsratsposten beim landeseigenen Energieversorger EnBW behalten durfte. Krebs hatte vor der Regierungsbildung überraschend ihren Politikabschied bekannt gegeben. Der Aufsichtsratsposten könnte eine Art Abfindung für ihren Rücktritt gewesen sein, munkelt man in Stuttgart. Der Rücktritt kam Kretschmann damals nicht ungelegen.
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