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Direkter Appell an die Sinne

Smeller 2.0 Ein „Geruchsprojektor“ des Künstlers Wolfgang Georgsdorf spielt Gerüche wie eine Art Film ab und soll so Geschichten erzählen. Beim Osmodrama-Festival für Geruchskunst kommt er erstmals zum Einsatz

Das Gerät sieht ­tatsächlich wie eine Orgel aus und ist 1,6 Tonnen schwer

von Tilman Baumgärtel

Der österreichische Künstler Wolfgang Georgsdorf kommt aus einer Familie von Chemikern und eingebildeten Kranken. Er wuchs in einem Haushalt auf, in dem es viele Tablettenpackungen gab – manche von ihnen abgelaufen, andere nicht –, und sein größter Wunsch war es, mit den kleinen Pillen spielen zu dürfen. Man erlaubte es ihm mit der Einschränkung, dass er sie nicht zu seinem Mund führen dürfe. Georgsdorf folgte und erfreute sich an den Farben, Formen und vor allem an den Gerüchen der Arznei, die zu seinen Spielzeug geworden war.

Man könnte sich viele Langzeitauswirkungen des kindlichen Interesses an Tabletten vorstellen. Bei dem österreichischen Künstler Georgsdorf führte es zu einer lebenslangen Obsession mit Gerüchen, die er seit mehr als 20 Jahren auch in einer Kunst auslebt. Das neueste Ergebnis ist ein „Geruchsprojektor“ mit dem Namen „Smeller 2.0“, der ab Freitag in Berlin zu sehen und vor allen Dingen zu riechen ist. Als „Osmodrama“ soll es das „kollektive Erlebnis zeitbasierter Geruchssequenzen“ erlauben, also Gerüche wie eine Art Film abspielen und so eine Geschichte erzählen. Warum es das nicht schon lange gibt, ist für ihn „ein absolutes Mysterium“. In einer neunwöchigen Reihe von Veranstaltungen ist der Smeller in verschiedenen Funktionen zu sehen: Als Installation kann man ihn in Reinform erleben, bei Performances, Filmvorführungen und Lesungen wird seine Tauglichkeit für den Einsatz in anderen künstlerischen Disziplinen erprobt.

Bei Redaktionsschluss war das Gerät, das in den letzten Monaten in einer Hütte im Spreewald zusammengebaut wurde, noch nicht einsatzbereit, und die folgende Beschreibung stützt sich daher ausschließlich auf die Schilderungen des Künstlers, nicht auf eigene Beobachtung. Aber immerhin hat Georgsdorf seine Erfindung schon bei einer Reihe von Ausstellungen und Festivals gezeigt. Für seine Arbeit wurde ihm 2013 in Österreich die staatliche Auszeichnung „Outstanding Artist Award für Interdisziplinarität“ verliehen. Und er hat prominente Unterstützer gefunden: Eva Mattes war von dem Moosgeruch, den die Apparatur hervorbringt, so angetan, dass sie in Berlin eine Lesung macht, die mit dem Smeller beduftet wird. Und Edgar Reitz zeigt seinen Film „Die andere Heimat“ in einer Version, die begleitet wird durch „Smelodien“ – eine Wortneuschöpfung, mit der Georgsdorf die in der Art von Musik zeitlich aufeinander folgenden Gerüche bezeichnet.

Mit Geruch als künstlerischem Medium haben freilich schon andere Künstler gearbeitet: Ólafur Elíasson, bekannt für Sinnesüberwältigungen aller Art, hat in der Autostadt Wolfsburg und dem botanischen Garten in Gütersloh einen „Geruchstunnel“ installiert. Carsten Höller hat sich jahrelang mit dem Einfluss, den Gerüche auf Insekten haben, beschäftigt. Und wer den Film ­„Polyester“ von John Waters in der „Odorama“-Originalfassung gesehen hat – in der man an bestimmten Stellen auf einer Pappkarte mit Geruchsfeldern herumrubbeln muss –, hat den künstlichen Geruch von Pupsen oder Stinktieren bestimmt so schnell nicht wieder vergessen.

Georgsdorf bevorzugt es verständlicherweise, sich auf anspruchsvollere Vorbilder zu berufen: die Geruchsorgel, die in Joris-Karl Huysmans Dekadenz-Roman „Gegen den Strich“ vorkommt, oder der Duft einer Madeleine, die in Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ im Bewusstsein des Erzählers dessen Kindheit zurückbringt.

Gerade das letzte Beispiel verweist auf Georgsdorfs künstlerisches Anliegen: Mit der Hilfe von Geruch will er in den „limbischen“ Teil des Gehirns vordringen, wo man statt an Vernunft oder Bewertung direkt an Erinnerung und Gefühle appelliert. „Der Geruchssinn ist unser ,tiefster' Sinn“, der ohne Umweg die nicht von der Ratio gesteuerten Teile unser Persönlichkeit erreicht und direkt ins Bewusstsein geht“, sagt der Medienkünstler.

Dafür hat er ein Gerät gebaut, das tatsächlich wie eine Orgel aussieht und 1,6 Tonnen schwer ist. Bei der Realisierung standen ihm unter anderem Helfer aus der Parfümistik, der Klimatechnik und der Informatik zur Seite. Mit der Tastatur des Instruments kann er 64 Gerüche durch Rohre, die normalerweise in Atomkraftwerken Verwendung finden, in einer kontrollierten Luftströmung als vorgemischte Gerüche in den Raum blasen. Der Betrachter sieht lediglich deren Stutzen in einem Kreismuster aus der Wand ragen. Die Düfte, die so in dem Raum gepustet werden, dürfen allerdings auch nicht zu lange in der Luft hängen bleiben, sondern sollen in einer guten Minute durch neue Gerüchte ersetzt werden: als „Geruchsakkorde, die so präzise kommen und gehen wie Bilder in einem Film oder Töne in einer Komposition“. Darum geht eine ununterbrochene „leise Brise“ durch dem Raum, wie Georgsdorf sagt.

Ob das alles so funktioniert, wie der Künstler es darstellt, kann man ab Freitag in der St.-Johannes-Evangelist-Kirche in Prenzlauer Berg selbst erschnüffeln. Georgsdorf, der seine Erfindung per Crowdfunding finanzierte und bei der Herstellung seiner Geruchsorgel von Industriesponsoren unterstützt wurde, hat freilich schon die nächste Anwendungsmöglichkeit dieser Idee im Kopf: Demnächst will er Geruchskompositionen über das Internet verbreiten.

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