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Kein Ertrinken im Dorfteich

VORZEIGEPROJEKT Ein Bademeister im schleswig-holsteinischen Harrislee gehtmit gutem Beispiel voran und bringt männlichen Flüchtlingen ehrenamtlichin einer kleinen Halle einmal pro Woche das Schwimmen bei

„Wir leben hier ja an und teils auf der Grenze, wir sind offen für Fremde“

JÜRGEN STEINGREBER, Bademeister

von Esther Geißlinger

Jürgen Steingreber tritt in seiner Arbeitskleidung – Plastik­latschen, knappe Badehose, Polohemd – in den Vorraum der Schwimmhalle und schaut sich ratlos um: Es ist Donnerstag, kurz nach 13 Uhr, aber keiner seiner Schüler ist da. Schon in den vorangegangenen Wochen war die Beteiligung nicht groß, wegen des Ramadan. Doch dass niemand zum Unterricht kommt, hat der braun gebrannte Schwimmmeister noch nicht erlebt. Im nächsten Moment schiebt sich die Tür auf, eine ganze Gruppe kommt herein und drängt sich im Vorraum, von dem der Blick durch eine Glasfront auf das glitzernd blaue Becken geht. Steingreber strahlt und winkt: „Na los, immer herein!“

Seit gut einem Jahr bringt der 54-Jährige Flüchtlingen das Schwimmen bei – aus einem ganz einfachen Grund: „Ich fand den Gedanken unerträglich, dass Menschen den weiten Weg zu uns schaffen und dann in einem Dorfteich ertrinken.“ Denn diese Fälle sind in den vergangenen Monaten mehrfach passiert.

Hier, im wasserreichen Norddeutschland, kann es leicht passieren, dass jemand ins Meer, einen Teich, einen Bach steigt oder fällt. Und dann solle bitte alles gut gehen, wünscht sich der Bademeister aus Harrislee nahe der dänischen Grenze: „Unser Berufsverband hat darauf hingewiesen, dass Leben gerettet werden könnten, wenn jeder von uns nur ein paar Leuten die Schwimmbewegungen zeigt. Da fühlte ich mich bei der Ehre gepackt.“

Über 20 Männer kamen beim ersten Training, an diesem Tag – der auf das nächtliche Zuckerfest am Ende des Ramadan folgt – sind es nur vier: Mohammed und Mohammed, beide aus Syrien, Hussein und sein Cousin Laith aus dem Irak. Der kleinere der beiden Mohammeds und Hussein haben ihre Söhne mitgebracht. Steingreber schüttelt etwas unwillig den Kopf: Kinder will er im Kursus eigentlich nicht haben, wegen des Risikos und weil ihnen die Bewegungen anders erklärt werden müssten. Aber angesichts der kleinen Gruppe winkt er die Jungen durch und schärft den Vätern ein, dass sie sich kümmern sollen. Die nicken eifrig – ob sie alles verstehen, ist unklar, denn Steingreber spricht grundsätzlich erst mal Deutsch: Sprach­training ist im Schwimmtraining inbegriffen.

Minuten später ist die ganze Gruppe im Wasser, auch Steingreber, der das Poloshirt ausgezogen hat, und Werner, einer aus dem Ort, der als freiwilliger Helfer an den Donnerstagen mit dabei ist. Überhaupt gibt es viel Hilfe und Unterstützung für das Projekt, sagt der Bademeister: „Unser Bürgermeister ist ein Prachtstück, die Flüchtlingsbeauftragte der Gemeinde hat sofort Kontakte hergestellt.“ Er selbst öffnet die gemeindeeigene Halle für die Flüchtlinge außerhalb der normalen Zeiten, in seiner Mittagspause, ehrenamtlich und kostenlos: „Das finde ich selbstverständlich, mir macht es Spaß.“ Dass es in Harrislee so viel Rückhalt für Flüchtlinge und wenig Probleme gebe, liege sicher auch am Ort: „Wir leben hier ja an und teils auf der Grenze, wir sind offen für Fremde.“

Die Schwimmstunde beginnt mit einer Runde Wasserball. Männer und Jungen verteilen sich auf zwei Mannschaften, dann jagen sie dem gelben Ball nach. Gelächter und Rufe hallen durch den Raum, die Sprache ist zurzeit ziemlich egal. Danach beginnt das eigentliche Training. Im hüfthohen Wasser – der Boden des Wasserbeckens lässt sich nach Bedarf anheben, wie Steingreber stolz vorführt – stehen die Männer im Kreis um den Sohn des kleinen Mohammed. Der Junge liegt auf einer roten Gummimatte und macht mit Steingrebers Hilfe den Beinschlag vor. Gleich darauf bekommt jeder der Männer ein Schwimmbrett in die Hand und strampelt los.

„Für uns ist das hier wichtig“, sagt der größere der Mohammeds in einer Trainingspause. „Erst mal, weil wir Schwimmen lernen wollen. Aber auch, damit wir Leute kennenlernen.“

Alle Männer und ihre Familien stecken zurzeit in der endlosen Warteschleife, in denen es immer hin und her geht mit Briefen, Anträgen, Anhörungen. Alle haben sie Asyl in Deutschland beantragt, erste Gespräche mit dem Bundesamt für Migration geführt. Nun dauert, dauert, dauert es wieder. Es ist schon ganz anders hier“, sagt Mohammed, greift das Schwimmbrett und zieht noch eine Bahn durch das 17 Meter lange Becken.

Steingreber weiß: „Bis die Anträge durch sind und sie wissen, wie es weitergeht, sitzen sie in der Unterkunft und langweilen sich.“ Die wöchentliche Schwimmstunde bietet eine willkommene Abwechslung. „Wenn sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und arbeiten dürfen, sind die meisten auch schnell wieder weg.“ Und können dann hoffentlich ein wenig schwimmen.

Sein Projekt hat jedenfalls deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. Nachdem zahlreiche Medien über das Training berichtet hatte, kamen Berufskollegen „aus Hamburg und München, um zuzuschauen, wie wir das hier machen“, sagt der Bademeister stolz. Auch an Kurse für Frauen hat Steingreber gedacht: „Meine Frau, ebenfalls ausgebildete Schwimmtrainerin, steht in den Startlöchern.“ Allerdings hat es bisher nicht geklappt – es fanden sich keine weiblichen Flüchtlinge, die sich ins Wasser trauen.

Allerdings findet alle zwei Wochen ein „islamisches Schwimmen“ für Frauen in der kleinen Halle in Harrislee statt. „Denn wir haben ja nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Leute, die schon länger hier leben“, sagt Steingreber. Wie genau das „islamische“ Schwimmen aussieht, weiß er auch nicht zu sagen: „Die Frauen betreten die Halle erst, wenn ich weg bin.“

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