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Kunst und KonsumJenseits der Mauern

Feministische Ermächtigung durch Kunst von Chantal Akerman und Annette Messager – ausgerechnet im Espace Louis Vuitton in München.

Ausschnitt aus: Annette Messager, Mémoire-Robots, 2015 Foto: Courtesy Fondation Louis Vuitton/Christian Kain

Das wohl bestgehütete Geheimnis der Stadt liegt in ihrem Herzen, dort, wo die vielgerühmte bayerische Lebensart, Reminiszenzen an die königliche Vergangenheit, Hochkultur und Luxus in fröhlichem Hedonismus vereint sind. Kaum jemand würde vermuten, und es gibt auch so gut wie keinen Hinweis darauf, dass seit 2014 hinter den Geschäftsräumen der Münchner Louis-Vuitton-Filiale hochkarätige wechselnde Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst gezeigt werden.

Vorbei an megateurem Gepäck, schnatternden Chinesen und nervenzerfetzend zuvorkommendem Personal gelangt man in die Hinterzimmer ­– und zur Kunst (um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es gibt einen eigenen Eingang, der, recht versteckt, auch nur Eingeweihten bekannt ist).

Die Kuratoren – LV unterhält unter anderem in Tokio und ­Venedig solche „Espaces“ – bedienen sich unter dem Motto „Hors les Murs“ aus dem schier unerschöpflichen Depot der Fondation. Zuletzt haben sie erstmals in München den amerikanischen Digitalavantgardisten Cory Arcangel vorgestellt.

Auch zum Werk von Sheila Hicks, deren skulpturale, überwiegend textile Arbeiten, die winzigen und die monumentalen, hierzulande viel zu wenig bekannt sind, gab es zum ersten Mal einen komprimierten, nichtsdestoweniger prägnanten Überblick.

Info Espace Louis Vuitton

Die Ausstellung läuft bis 25. September im Espace Louis Vuitton München, Maximilianstr. 2a, Montag bis Freitag 12 bis 19 Uhr, Samstag 10 bis 18 Uhr

Frauen, die rauchen

Wer die Welt der von warmem Licht übergossenen glamourösen Koffer hinter sich gelassen hat, um den wird es derzeit zappenduster. Im Dunklen leuchten sechs nicht sonderlich große Bildschirme, auf denen im zeitlich versetzten Loop, mal schwarz-weiß, mal in Farbe, Videos laufen. Es ist Nacht, wir sehen Frauen, die rauchen. Alle.

Sie sind allein, gehen durch verlassene Straßen, sitzen auf Bänken, lehnen an einer Mauer, sind betrunken, nachdenklich, müde, traurig. Sie sind ganz bei sich. „Les Femmes d’Anvers en Novembre“ von der Ende vergangenen Jahres verstorbenen belgischen Künstlerin Chantal Akerman entstand 2008 und ist auf den ersten Blick eine Reminiszenz an den „Film noir“ der Sechziger. Mit den starken Frauen, deren ungestümes oder wenigstens naives Bestreben nach Freiheit und Unabhängigkeit begleitet wurde von der erschütternden Erkenntnis, ausgeliefert und schier ausnahmslos auf sich allein gestellt zu sein.

Wohin geht die Reise? Was lassen wir hinter uns? Was nehmen wir mit, was werden wir nie mehr los?

Das mag heute anders sein. Nun ja, zumindest hat sich die Perspektive ein wenig verschoben. Naturgemäß. Zwiespalt und Zweifel behaupten dennoch ihren angestammten Platz. Dieser melancholischen Bestandsaufnahme in Zigarettenlänge stellt Akerman auf einem weitaus größeren Screen die geradezu obsessive Betrachtung einer schönen Frau gegenüber, die mit langsamen Bewegungen im Close-up den Akt des Rauchens zelebriert.

Scheinbar selbstvergessen auch sie, doch Akerman versetzt den Betrachter der erotisch aufgeladenen Szene in die Rolle des magisch angezogenen Voyeurs. Das alte Spiel ist ewig präsent, da können sich die Positionen und Ideologien noch so angestrengt verwirbeln.

Der Blick auf den männlichen Schritt

Eine Treppe höher hat die französische Bildhauerin und Installationskünstlerin Annette Messager selbst die Präsentation älterer und aktueller Werke arrangiert. „Les Approches“, Annäherungen, ist der Titel der Ausstellung der beiden Künstlerinnen und auch der eines 1973 in 30er-Auflage erschienen Leporellos, in dem Messager Fotos in stets gleichem Ausschnitt und Maßstab versammelt, die den Blick auf den Schritt Anzug tragender (Geschäfts-)Männer fokussieren.

Explizit sexualisiert und das Individuum, das Geschöpf völlig ausklammernd, erschließt sie mit dieser nüchternen Typologie eine unverschämt befreiende Variante der gesellschaftlich unterstellten und sanktionierten Geschlechterrollen. Wer sich so köstlich über angeblich den Männern vorbehaltene Verhaltensmuster samt den dazugehörigen Verklemmungen amüsieren kann, hat nachgedacht und viel gesehen.

Bekannt geworden ist Messager für ihre Assemblagen, in denen Puppen und Plüschtiere, in oft bizarren Arrangements zwischen steife Tülltutus und stählerne Umklammerungen gepresst, bösen Fantasien, schlimmen Träumen, diffusen Urängsten in einem imaginären, fetischhaften Code Gestalt geben. Wie ambivalent dieser Code gelesen werden kann, zeigt sich in „Mes Transports“, einer der drei zwischen 2011 und 2013 entstandenen Skulpturen.

Zwei Bauchrednerpuppen hocken rettungslos gefangen zwischen den Stäben einer Schaufensterpuppe auf einem Rollwägelchen. Wohin geht die Reise? Was lassen wir hinter uns? Welche Gefühle, welche Erinnerungen? Was nehmen wir mit, was werden wir nie mehr los?

Die Unschärfe der Erinnerung

In der jüngsten Arbeit „Mémoire-Robots“ (2015) kreuzen sich die beiden Begriffe: Der Schriftzug Mémoire ist melancholisch schwarz verschleiert und symbolisiert so das allmähliche Verschwimmen, die Unschärfe der Erinnerung; „Robots“ hingegen, geformt aus quietschbunten Plüschtieren, gibt sich robust, unbekümmert. Dabei gewinnt keine der Chiffren die Oberhand. Sie sind, zwei ungleiche Schwestern, verknüpft auf ewig.

Mit „Ma Collection des Proverbes“, eine in kleinster Auflage herausgegebene Edition von 2012, beschreibt Messager betont kühl und puristisch – keine Schleier, keine grausamen Puppen, keine Metaphern aus dem Reich der Imagination – die im Volksmund tradierte abwertende Haltung gegenüber Frauen.

Auf einer Serie fein säuberlich gerahmter, blütenweißer Taschen- oder Küchentücher sind französische Sprichwörter gestickt, die haarsträubend frauenfeindlich daherkommen („Alles ist von Gott geschaffen, die Frau nicht“). So haarsträubend, dass sich der Gedanke aufdrängt, dass es sich bei diesen stereotypen Erniedrigungen vielmehr um volkstümlichen Abwehrzauber handelt.

Angst ist freilich ein schlechtes Vehikel für eine gelungene Annäherung. Die humorgesättigte Ironie von Annette Messager taugt da schon eher.

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