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Gefühle ändern sich mit der Zeit

FILM Douglas Sirk war ein Meister des Melodrams. Eine Retrospektive im Zeughauskino zeigt fast 40 seiner Filme

von Carolin Weidner

Ein Film wie „Interlude“ (USA 1957) ist eine Entdeckung: hochemotional, ja an der Grenze des Kitschs, dabei tief und elegant. Wie sich Unwahrscheinliches hier zu einem perfekt sitzenden Ganzen zusammenschiebt, wie man an nicht wenigen Stellen den Kopf schüttelt und im nächsten Moment doch hinfortgespült wird von diesen Farben, der Musik, den Figuren und den Sätzen, die sie sagen. Nicht zu vergessen: von einer lodernden Liebe wie der von der Amerikanerin Helen Banning (June Allyson). Sie ist nach München gereist, um Deutschland kennenzulernen und auch, aber das gibt sie nicht zu, um ein großes Abenteuer zu erleben. Ein großes Liebesabenteuer.

Das erscheint ihr dann auch im Gewand des schönen Dirigenten Tonio Fischer (Rossano Brazzi). Eine wahrhaft blitzartige Angelegenheit. Wenn Helen und Tonio bei einem Ausflug von einem Gewitter überrascht werden, dann überträgt sich die Spannung in den Wolken umgehend auf das Paar. Doch wie es beim Regisseur Douglas Sirk oft der Fall ist und in einem meisterlichen Melodrama wie „Interlude“ sowieso: im Moment des höchsten Glücks, beziehungsweise, wenn das Glück so nah scheint, dass man es packen und nie wieder loslassen möchte, folgt der Schwenk in eine andere Richtung. Denn ganz so einfach ist es nicht. Im Leben, aber auch im Film nicht. Obschon man das manchmal meinen könnte – insbesondere in Sirks Kino-Welt, die so satt und prunkvoll ist und in demrzunächst alles möglich scheint. Wären da nicht die inneren Zügel, die Gesellschaft, die Angst.

In welche Richtung(en) da geschwenkt wird, soll nicht verraten werden. Das möchte angesehen werden. Zwei Abende der kommenden Woche bieten hierfür Gelegenheit, denn „Interlude“ ist Teil der großen Sirk-Retrospektive „All I Desire – Die Filme von Douglas Sirk“ im Zeughauskino. Neben dokumentarischen Filmen („Nach Hollywood. Douglas Sirk erzählt …“, D 1991) und einigen kürzeren Arbeiten, die während eines Lehrauftrags an der HFF München in den 1970er-Jahren entstanden sind, gibt es gegen Ende der Reihe einen Vortrag der feministischen Filmwissenschaftlerin Laura Mulvey.

Die Retrospektive orientiert sich nicht zwangsläufig an einer strengen Chronologie – Sirks umfassendes Werk ist etappenweise zu erschließen. Frühe Ufa-Produktionen (da noch unter dem Geburtsnamen Hans Detlef Sierck) mischen sich mit ersten Arbeiten in den USA nach der Emigration 1940 und den großen Studioerfolgen der 50er Jahre mit Stars wie Rock Hudson, Lana Turner oder Jane Wyman in den Hauptrollen.

Sirks Kino-Welt ist so satt und prunkvoll, dass zunächst alles möglich scheint

„All I Desire“ lädt ein, quer zu schauen, die Filme Sirks über verschiedene Linien zu erschließen, Motive aufzuspüren, die sich über Jahrzehnte fortsetzen und entwickeln. Der symbolische Gebrauch von Blumensträußen und -buketts etwa: So befindet sich der Astrologe Carl-Otto (Albert Lippert) im wunderbaren „Schlussakkord“ (D 1936) gern in unmittelbarer Nähe zu einer Ansammlung von Aronstab-Blüten – ein etwas vulgär dreinschauendes Gewächs, das auf die Lüsternheit des Spiritisten verweist, während dem Playboy Bob Merrick (Rock Hudson) in „Magnificent Obesession“ (USA 1954) droht, von den riesigen Blumenarrangements eines Krankenhauses schier verschluckt zu werden.

Sirk soll einmal gesagt haben, man könne Gefühle nicht ohne weiteres in einem Film darstellen. Aber man habe Kleidung, Statuen, Gemälde und Spiegel. Sie vermöchten auszudrücken, wofür Worte fehlten. Und Gefühle, um die geht es in allen Filmen Sirks. Um verhinderte Gefühle und lähmende Gefühle und um die, die einen verstummen lassen. „Wenn in einem Film nicht Gefühl da ist und ich glaube, das in meinen Filmen immer Gefühle da waren, und ich scheue mich auch gar nicht, das sehr merkwürdig von Intellektuellen aufgenommene Wort auszusprechen – merkwürdigerweise sage ich ‚Intellektuelle‘, ich bin selber wahrscheinlich einer –, wie gesagt, wenn Gefühl nicht da ist, dann fehlt das Wesentliche.“

Auch Helen Banning und Tonio Fischer befragen in „Interlude“ das Leben auf Wesentlichkeit. Als das Gewitter draußen tobt und beide immer dramatischer werden, wendet sie sich an ihn: „Warum lässt sich das Glück nicht halten?“ Er erwidert: „Ich weiß nicht, warum. Es ist wahrscheinlich in uns selbst begründet. Die Gefühle ändern sich mit der Zeit, ohne unser Zutun. Und doch muss man für alles zahlen.“

„All I Desire – Die Filme von Douglas Sirk“: Zeughauskino, 8.7.–18.8.

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