piwik no script img

BerlinmusikMörtel und Tanzdiskurs

Das Berliner Kollektiv Column One spielt seit den neunziger Jahren mit irritierenden Signalen und Botschaften. Von Konzeptkunst über W. S. Burroughs’ Cut-up-Technik bis zu Gegenkulturikonen wie dem britischen Industrial-Pionier Genesis P-Orridge reichen ihre Inspirationen oder künstlerischen Partnerschaften. Meistens spielen die beteiligten Künstler aber auch einfach sehr gern mit Tönen und Geräuschen.

So auch ihr Mitglied Jürgen Eckloff, der sich auf seinem jüngsten Album „Angeflantschte Fugenstücke“ im Stil der Field Recordings mit Aufnahmen von Klängen aus dem Inneren nicht näher definierter Räume beschäftigt. Im großen, eine Plattenseite füllenden Opus „Bei Wanzen Geld zurück“ meint man einer (Kunst-)Aktion in einem weitläufigen Saal beizuwohnen. In der Ferne hallen Gegenstände, die vermutlich zu Boden fallen, oder Türen, die zuschlagen, darunter ein fließend-zähes Geräusch, als würde jemand langsam Farbe auf einer großen Fläche verstreichen.

Viel passiert da eigentlich nicht, doch die paar Ereignisse, mit denen Eckloff die 20 Minuten seines Stücks füllt, genügen erstaunlicherweise, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Es sei denn, man besteht auf Melodie und Rhythmus.

Im weiteren Verlauf gewärtigt man knarrende Türen, vereinzelt johlende Stimmen und allerhand Rascheln, Knatschen, Ratschen und Quietschen. Eckloffs Humor bricht sich unter anderem in seiner vierteiligen Trilogie „Mörtel“ Bahn. Auch hier fühlt man sich in Gesellschaft der diskreten Geräusche bestens unterhalten.

Einen etwas offensiveren Ansatz mit entschieden eingängigeren künstlerischen Mitteln verfolgt das Column One künstlerisch nahestehende Projekt Kein Zweiter um den Sänger Gort Klüth und den Elektronik-Sachverständigen Klaus-Helene Ramp, die einen mitunter recht brachialen Elektrosound der bewährten DAF-Schule pflegen. Ihre Texte sind dabei um einiges hintersinniger und anspielungsreicher, als man es von den älteren NDW-Kollegen kennt.

Der Ansatz von „Teilstück für Totalen Schwung“, ihrem gerade mal zweiten Album – das Berliner Duo gründete sich immerhin schon 1989 – wird am besten im „Tanzlied“ zusammengefasst, wo es in einer Zeile lapidar heißt: „Tanzen mit Diskurs!“ Stampfen und Denken, bekommt man sehr anschaulich vorgeführt, schließen sich eben keinesfalls aus.

Tim Caspar Boehme

Jürgen Eckloff: „Angeflantschte Fugenstücke“ (90% Wasser)

Kein Zweiter: „Teilstück für Totalen Schwung“ (90% Wasser)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen