: Die Krux mit der Empirie
Statistiken Meinungsumfragen klingen wissenschaftlich fundiert. Tatsächlich dienen sie oft einem anderen Zweck: Sie täuschen Zusammenhänge vor und sind dann bestellte Wahrheiten
Der ehemalige britische Premier Benjamin Disraeli sagte einmal: „Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken.“ Auch Winston Churchill traute keiner Statistik, die er nicht selbst gefälscht hatte. Und doch kommt niemand ohne Zahlen aus, der Zusammenhänge darstellen will. Sie sind Teil vieler wissenschaftlicher Studien. Statistiken unterfüttern Argumente, es gibt aber viele Beispiele, bei denen die Wirklichkeit bewusst manipuliert wird.
Einer Erhebung der IG Metall zufolge lehnen es etwa 95 Prozent der Lohnarbeiter ab, am Samstag zur Arbeit zu kommen. Die Umfrage des Offenbacher Marplan-Instituts kommt zu einem gänzlich gegenteiligen Ergebnis: Hier sind nahezu 80 Prozent der Befragten auch zur Wochenendarbeit bereit. Der Unterschied: „Forscher“ der IG Metall versahen ihren Fragebogen mit der tendenziösen Überschrift „Votum für ein freies Wochenende“.
Auch das unternehmernahe Marplan-Institut mogelte. Sie versahen ihre Frage nach Wochenendarbeit mit dem Nebensatz: „wenn es für die wirtschaftliche Situation Ihres Unternehmens gut wäre“.
„Das ist ein beliebter Trick“, sagt Walter Krämer, der den Fall aufdeckte. „Die Fragen werden ganz bewusst so suggestiv formuliert, dass am Ende das herauskommt, was man gerne hätte.“ Der Dortmunder Statistik-Professor hat den Zahlenverdrehern den Kampf angesagt.
Viele Menschen verwechseln Marktforschung mit unabhängiger Wissenschaft. „Man benutzt zwar korrekte Daten, diese werden jedoch schöngerechnet“, sagt eine Frau, die in der Branche tätig war und namentlich nicht genannt werden möchte. Der Auftraggeber definiere in vielen Fällen gar vorab die Ergebnisse.
„Es wird brutal gelogen“, sagt auch Krämer. Und das beginnt nicht erst beim Verschleiern oder Beschönigen von Ergebnissen, sondern manchmal schon viel früher: bei der Definition der Begriffe. Sie sind unerlässlicher Teil jeder wissenschaftlichen Studie. Was aber verstehen wir unter „Wirtschaftswachstum“? Wann beginnt „Armut“?
Je höher die Panikmache einer Schlagzeile, desto kritischer sollte man sich das zugrunde liegende Zahlen-Material anschauen. Krämer gibt den Rat: „Grundsätzlich sollte man keiner Statistik trauen, bei der ich selbst den Fragebogen noch nicht gesehen habe.“
Gleiches gilt für die vermeintliche Stichprobe: Wenn Interviewer etwa ausschließlich tagsüber von Haustür zu Haustür ziehen, wird die Auswahl kaum repräsentativ sein, weil viele Menschen zu dieser Zeit arbeiten. „In so einem Fall kann man alle Schlüsse, die in der Statistik gezogen wurden, komplett vergessen“, so Krämer.
Viele Menschen lassen sich von vermeintlichen Studien, Zahlen und Statistiken verführen. Tatsächlich aber dienen sie nicht selten dazu, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Jonas Kühlberg und Kathrin Reisinger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen