Berliner Briten über den Brexit: „Das Referendum ist Rassismus pur“
Was denken Berliner Briten über den möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU? Die taz war im Pub und hat nachgefragt.
Der Popsong „Obsession“ von Animotion tönt aus den Lautsprechern im Neuköllner Scotish Pub „Das Gift“. Die britische Kellnerin Abigil McFarlane holt ein „Good Times Pale Ale“ aus dem Kühlschrank. Auf die Frage nach dem Brexit drückt sie beide Hände an die Schläfen. „Es ist so aufregend, ich weiß wirklich nicht, wie es ausgehen wird“, sagt die Yorkerin.
Am heutigen Donnerstag entscheiden die Briten in einem Referdum, ob sie aus der EU austreten werden oder nicht. Das Thema hält die gesamte EU in Atem und ist auch ein Thema in Berlin. Denn hier leben 10.597 Briten, für die sich sehr viel ändern könnte, wenn Großbritannien tatsächlich aus der EU austreten sollte. „Vielleicht würden wir ein Visum brauchen oder Studiengebühren zahlen müssen“, sagt McFarlane. Ihre Entscheidung ist schon gefallen, sie ist komplett gegen den Brexit.
Noch vor einer Woche war sie überzeugt, dass die meisten Briten gegen den Ausstieg aus der EU wären. „Doch als ich kürzlich in Großbritannien war, sah ich die ganzen Schlagzeilen der Boulevardzeitungen wie der Sun, die alle für den Ausstieg aus der EU warben“, erzählt sie.
Auch Philip Hucknall arbeitet im Gift-Pub. Er trägt ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift: „Hallo Welt“ und kommt aus Südengland. „Für mich ist das Referendum purer Rassismus“, sagt der seit sechs Jahren in Berlin lebende Brite. Er hat schon per Briefwahl gegen den Brexit gestimmt. McFarlane aber war noch nicht wählen, ihr Vater wird für sie mitwählen.
Wählen vor Ort ist nicht möglich
Für Briten, die im Ausland leben, gibt es zwei Möglichkeiten zu wählen: per Briefwahl und über eine andere Person. Vor Ort selbst zu wählen ist laut britischer Wahlkommission nicht möglich. Nordiren können sogar nur durch eine Mittelsperson über das Referendum abstimmen. Zudem gibt es noch eine Besonderheit im britischen Wahlrecht: Wer über 15 Jahre im Ausland lebt, verliert seine Wahlberechtigung.
Laut einer unabhängigen Studie der internationalen Plattform „InterNations“, an der 1.800 Personen teilnahmen, gaben 47,5 Prozent der in Deutschland leben Briten an, über das Referendum nicht abstimmen zu können. 85 Prozent davon nannten als Grund, nicht wahlberechtigt zu sein, weil sie bereits über 15 Jahre in Deutschland leben.
Abigil McFarlane, Kellnerin im „Gift“
So ist es auch bei David, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Der 46-jährige Softwareingenieur lebt seit 2002 in Deutschland. Mit Briten hat er sich nicht über den Brexit unterhalten. „Die EU hat Demokratiedefizite und ist deshalb eine schwierige Institution, aber auf der anderen Seite finde ich die Idee des geeinten Europas gut“, sagt David. Er glaubt nicht, dass der Austritt des Vereinigten Königreiches für ihn etwas ändern würde.
McFarlane und Hucknall fiebern jedenfalls schon auf die Entscheidung hin. Im „Gift“ wird sie live übertragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind