: Der Boateng auf dem Hockeyplatz
taz-Serie Olympiareif (Teil 1) Martin Häner will mit der deutschen Hockeynationalmannschaft in Rio zum zweiten Mal Olympiasieger werden. Der Wilmersdorfer ist der strategische Kopf des Teams – der Druck, der auf dieser Spielerposition lastet, ist enorm
von David Joram
Hockeyspieler Martin Häner könnte derzeit eigentlich etwas entspannen. Der 27-jährige Berliner weilt schließlich im spanischen Valencia. Dort steht etwa die Lonja de la Seda, jene zum Unesco-Weltkulturerbe zählende Seidenbörse, die im gotischen Stil erbaut wurde. Dort gibt es die majestätische Kathedrale von Valencia. Und das L’Oceanogràfic, das weltweit größte Aquarium. Und natürlich hat Valencia auch einen recht netten Strand, auf dem sich prächtig entspannen ließe. Aber Martin Häner ist nicht in die drittgrößte Stadt Spaniens geflogen, um Sandburgen zu bauen. Mit 21 anderen Spielern bastelt er hier an einem weitaus größeren Ziel: dem Olympiasieg 2016 in Rio de Janeiro mit der deutschen Hockey-Nationalmannschaft.
Das Viertelfinale ist Pflicht
„Zwischen Gold und Platz fünf bis acht ist alles drin, die Weltspitze liegt sehr eng zusammen, oft entscheidet die Tagesform über Sieg und Niederlage“, sagt Häner. Das klingt ein bisschen abgedroschen. Häner scheint es zu bemerken, und schiebt nach: Das Viertelfinale, das sei aber schon auf alle Fälle Pflicht.
Um aus dem dichten Gedränge an der Weltspitze als Sieger hervorzugehen, muss das deutsche Team noch am Feintuning arbeiten. Am heutigen Montag legt Bundestrainer Valentin Altenburg den endgültigen Kader für Rio fest. Die 22 Valencia-Fahrer, die beim dortigen Sechs-Nationen-Turnier bisher gute Ergebnisse abgeliefert haben (drei Siege, ein Remis), müssen auf 16 (plus 2 Reservekandidaten) reduziert werden. Mehr dürfen nicht mit nach Brasilien.
Martin Häner dürfte ziemlich sicher gesetzt sein: Er ist schließlich einer der drei deutschen Kapitäne. Mehr noch, Häner beackert die Position des freien Mannes. Der freie Mann gilt im Hockey als Architekt des Spiels, er plant die Angriffe und baut sie aus der Defensive heraus auf. Mal behutsamer, mal mit „mehr Zug“, entweder mit kurzen, flachen Pässen oder mit langen, hoch geschlagenen Bällen. „So wie der Boateng das beim Fußball macht“, sagt Häner.
Diesen Sommer ist nicht nur Fußball-EM: Vom 5. bis zum 21. August 2016 finden vor allem im brasilianischen Rio Olympische Sommerspiele statt. Viele Athletinnen und Athleten bereiten sich bereits seit Jahren intensiv auf diesen sportlichen Höhepunkt ihrer Karriere vor. Die taz präsentiert in einer Porträtserie immer montags fünf Berliner Hoffnungsträger. (taz)
Für welche Spieleröffnung sich der Berliner entscheidet, hängt immer auch von der Spielweise des Gegners ab. Ein sauberes Aufbauspiel ist jedenfalls gerade für die deutsche Mannschaft von hoher Bedeutung. Bundestrainer Altenburg will nämlich, dass seine Herren agieren und nicht reagieren. Das DHB-Spiel ist auf Ballbesitz ausgerichtet, an dessen Anfang eine starke Spieleröffnung stehen muss. Häners präzise Schläge zu den Mitspielern sind dafür unabdingbar. Dass damit eine große Spielverantwortung einhergeht, weiß Häner.
„Ich bin ein positiver Mensch und sehe meine Stärke in der Organisation“, sagt er. Das kann er auch abseits des Hockeyfelds gut brauchen: Durch das parallele Medizinstudium muss Häner einiges regeln, um Sport- und Berufskarriere unter einen Hut zu bringen. Noch gelingt das dem Olympiasieger von London 2012. Aber die freie Zeit ist sehr knapp bemessen.
Für seine zweite Olympiateilnahme stellt Häner aber gerne vieles hintenan. Etwa 100 Tage im Jahr ist er mit dem Nationalteam unterwegs, hinzu kommen 22 Bundesligapartien im Freien und zehn unterm Hallendach. Die spielt er für seinen Verein, den Berliner HC. Und dann ist da natürlich noch das tägliche Training, zwei bis drei Einheiten jeden Tag. Ein solches Programm frisst Reserven. „Körperlich und mental bist du nach einem Spiel komplett durch“, weiß Häner, der für die deutsche Mannschaft schon über 170 Mal auf dem Platz stand.
Damals, in der Kita
Wäre er Fußballer geworden, hätte er wohl weniger Länderspiele absolviert – die Hockeymänner bestreiten bis zu 30 Spiele pro Jahr – dafür aber ein paar Millionen mehr mit seinem Sport verdient. Dass es Häner darum nicht geht, nimmt man dem außerhalb des Feldes zurückhaltend auftretenden Wilmersdorfer gerne ab.
Die Entscheidung für den Hockeysport fiel gewissermaßen schon in der Kita – es hätte aber auch eine Entscheidung für Fußball sein können, sagt er. Im Hof der Auen-Kita wurde entweder gebolzt – oder eben mit dem Schläger hantiert, weil die Kita-Leiterin selbst Hockeyspielerin war. „Da bekam dann jeder, der halbwegs talentiert war, einen Schläger in die Hand gedrückt“, sagt Häner.
Dass er ein ganz besonderes Ballgefühl hat, zeigte sich indes schnell. Früh schloss er sich daher einem Verein, dem Steglitzer TK, an. Später wechselte er zum höherklassigen Berliner SC, seine erste deutsche Meisterschaft feierte er 2005. Nach dem Abi 2008 ging Häner dann allerdings erst mal nach England. Allerdings weniger des Hockeys wegen: Lebenserfahrung im Ausland sammeln, wollte er – eigentlich.
Doch auf der Insel kam prompt ein Angebot von East Grinstead, einem südlich von London gelegenen Klub, mit dem er sogar das Viertelfinale der Champions League erreichte. Ein toller Erfolg für eine englische Mannschaft, die, verglichen mit holländischen oder deutschen Spitzenteams, traditionell weniger stark besetzt sind.
Und nach Rio: In den OP
Erfolge: Die deutsche Auswahl der Männer wurde bisher vier Mal Olympiasieger: 1972, 1992, 2008 und 2012. 2002 und 2006 wurden sie Weltmeister.
Motivation: "Jeder im Team darf sich zwei Songs aussuchen. Die werden dann vor jeder Begegnung gespielt." Häner hat sich "Star" von DJ Jerome ausgesucht.
Maskottchen: "Ich bin nicht abergläubisch", sagt Häner
Termine: Die Hockeyspieler spielen bei Olympia in Gruppe B gegen die Niederlande, Argentinien, Indien, Irland und Kanada. Das erste Spiel findet am Samstag, 6. August, 23 Uhr (MESZ) gegen Kanada statt. (djo)
Zurück in Deutschland startete Häner dann richtig durch. Er gewann mit dem Berliner HC nationale Titel und mit der Bundesauswahl dann Olympia 2012 in London. „Der Höhepunkt, ganz klar, das sind unbeschreibliche Gefühle“, sagt Häner heute.
Das ist nun vier Jahre, eine Olympiade, her. Häner würde diese Gefühle gerne noch einmal erleben, ehe er – vielleicht nach der kommenden Saison 2016/2017 – seine Karriere beendet. Dann will er, vielleicht, sich im Bereich Unfallchirurgie spezialisieren. Ab November macht Häner in dem Fach erst einmal sein praktisches Jahr.
„Vorher steht aber Rio an“, sagt er. Ob er dort Zeit hat, sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen? Wenn die Mission Olympiasieg erledigt ist, vielleicht.
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