„Zwei wurden ohnmächtig“

Dokumente der Vernichtung 8 „Unternehmen Barbarossa“ – im Juni 1941 überfiel die Wehrmacht die Sowjetunion. Die taz dokumentiert Tagebuchauf-zeichnungen von Zeitzeugen

Ein polnischer Dolmetscher im Dienst der SS nimmt im Herbst 1941 an der Auslöschung mehrerer Gettos im Gebiet Minsk teil. Anonymer Bericht, verfasst nach dem Dezember 1941:

Am nächsten Morgen wurden die Gettos in Maryjna Górka und Puchowicze durch große Einheiten der Schupo umstellt, die aus Minsk anrückte. In Puchowicze gab es um die 450 Juden, in Maryjna Górka 550. Zusammen mit 100 Juden aus der Umgebung sollten dieses Mal etwa 1100 Juden getötet werden.

Ich hatte den Befehl, das Getto in Puchowicze zu säubern. Schmutz und Elend, die hier herrschten, sind nicht zu beschreiben. Trotz gründlicher Durchsuchung fand man in Puchowicze nichts Wertvolles. Die hiesigen Juden waren wirklich arm. Sie leisteten jedoch sofort Widerstand, was unwahrscheinlich erscheint. Erst als einige erschossen worden waren, fanden sie sich mit ihrem Schicksal ab und reihten sich auf dem Hof auf. „Mein lieber Herr!“, jammerten die Jüdinnen, als man ihnen befahl, sich in Reihen aufzustellen. In keiner Weise konnte man bei ihnen Gehorsam erzwingen. Letztlich setzten die Milizionäre wieder Gummiknüppel ein, ein Argument, das wirkte.

Nach einer gründlichen Durchsuchung der Häuser und nachdem man alle dort versteckten Juden ans Tageslicht gezerrt hatte, setzte sich ihre mithilfe von Maschinenpistolen gut bewachte Kolonne in Bewegung, zum Schlachten in den Schlachthof!

Neben dem Schlachthof traf die jüdische Kolonne auf die Juden aus Maryjna Górka. Im Inneren des Gebäudes befanden sich Boxen, in die man einst Vieh hineingetrieben hatte. Nun wurden dort die Juden so hineingedrängt, dass sie sich kaum bewegen konnten. Danach wurde in einem Raum mit Steinboden und Abfluss für das abfließende Blut ein Tisch aufgestellt, und hier wurde den Juden befohlen, sich vor dem Hin­absteigen in den Graben des Todes bis aufs Hemd auszuziehen.

Da es dieses Mal eine Aktion großen Ausmaßes war, kam unter anderen der SS-Chef in Weißrussland, General Zöllner, hinzu. Außer ihm waren einige höhere Offiziere anwesend. Um die 50 Soldaten der Infanterie und der Luftwaffe sicherten den Platz. Für die Zeit der Aktion wurde der Verkehr auf der Straße für Privatfahrzeuge gesperrt.

Dieses Mal wurden Männer und Frauen nicht getrennt. Erwachsene und Kinder, alle gingen gemeinsam zur Liquidierung. Unten in der Grube nahm man den Müttern die Kinder weg und warf sie separat in eine Ecke, man schoss ihnen im Flug ins Genick, sodass ihr Weinen ­sofort erstarb, wie abgeschnitten.

Und am anderen Ende der Grube wuchsen wieder die Reihen von Leichen an, es stieg Schießpulver- und Blutgeruch hoch. Nicht alle Soldaten, ungeachtet der Tatsache, dass sie im Krieg waren, vermochten es, den Anblick der Exekution zu ertragen. Zwei wurden ohnmächtig.“

Aus: „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 8: Sowjetunion mit annektierten Gebieten I“. Dokument 15 Oldenbourg Verlag, München 2015