Auf dem Weg zu den Olympischen Spielen: Schneller als die Funktionäre
In der Rennkatamaran-Klasse Nacra 17 zeigen Paul Kohlhoff und Carolina Werner bei der Kieler Woche, dass sie zur Weltspitze gehören.
KIEL taz | „Slipbahn“ ist beim Segeln kein unanständiges Wort. Vor allem nicht im Olympiazentrum in Kiel-Schilksee während der Kieler Woche. Hier im ehemaligen Olympischen Dorf neigt sich die riesige achtspurige Rampe – „der Slip“ –, über die unzählige Regattajollen ins Wasser geschoben werden. So etwas wie der Nabel der Segel-Welt. Die trifft sich hier auch. Barfüßig, breitschultrig, lässig in neue, strapazierfähige Neoprenanzüge gehüllt, in vielen Sprachen quasselnd – und jung.
Paul Kohlhoff und Carolina Werner schieben ihren Rennkatamaran der Olympischen Nacra-17-Klasse zum Slip und verrichten letzte Handgriffe. Als Letztes fügen sie dem regennassen Asphaltgrau einen Farbtupfer hinzu: Gelbe Trikots aus dünnem, nassem Lycra, weisen sie als Führende der Kieler-Woche-Regatten aus, gleichzeitig Deutsche Meisterschaft. Wieder mal geht eine Wettfahrt an die beiden, obwohl sie noch nicht lange in dieser Klasse segeln.
Das brachte den Youngstern ihren Spitznamen ein: The German Wonderkids. Kiel ist die finale brutale Leistungsdemonstration der beiden Anfang 20-Jährigen, bevor sie nach Rio abdüsen – wenn auch nur auf Verdacht. Denn offiziell ist ihre Nominierung noch gar nicht perfekt.
Entscheidungen, wer Deutschland bei Olympia vertreten darf, waren noch nie einfach. Es nützt nicht viel, besser zu sein als der zweitbeste Deutsche. Wenn absolut und international gesehen beide schlecht sind, wird niemand zum Repräsentieren geschickt. Vereinfacht gesagt darf der Deutsche Segler-Verband lediglich Ausscheidungen organisieren, Kadermannschaften bestimmen, Ranglisten rechnen und am Ende Teams zur Nominierung vorschlagen. Die endgültigen Kriterien dafür, wer im internationalen Vergleich welche Leistungen bringen, halten und verlässlich abliefern soll, definiert der Deutsche Olympia Sportbund (DOSB).
Kohlhoff und Werner haben diese Kriterien klar erfüllt. Wegen Materialschaden haben sie jedoch eine Wettfahrtserie innerhalb des Nominierungszeitrahmens abbrechen müssen. Bei einer anderen, knapp außerhalb des Fensters, haben sie dann wieder ihre gewohnte Stärke bewiesen: Sie wurden Zweite einer Weltcupserie in Weymouth. Im zarten Einsteigeralter. Da befanden die Funktionäre quasi einstimmig: Wir müssen die beiden zu den Spielen schicken. Ein entsprechender Antrag, während dieser „Nachspielzeit“ gestellt und de facto bereits entschieden, muss aber noch offiziell durch die Gremien. Am zwölften Juli fällt der DOSB endgültig seine Entscheidung. Dann sind Kohlhoff und Werner schon in Rio.
Kohlhoff kommt aus einer Segel-Dynastie: Nicht nur die Kinder sind Spitzensegler in mehreren Klassen. Schon der Großvater handelte einst in Bremen-Nord mit Yachten, war selbst recht guter Regattasegler und hat die Welt umsegelt. Beide Eltern sind erfahrene Segler. Vater Peter, in Kiel Betreiber eines der größten Yachtausrüstergeschäfte Deutschlands, landete bei der Kieler Woche gerade im vorderen Drittel der Europameisterschaft der J-70-Sportboote.
Eine Ausnahme, denn das Gesicht des Leistungssegelns hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Mehr Kompromisslosigkeit ist hinzugekommen, mehr Selbstbewusstsein, größere internationale Erfolge – und jüngere Gesichter.
Wer 250 Tage im Jahr segelt, bringt heute meist ein gewisses Karrieredenken mit. Wer in einer Jugendklasse Leistungen vollbracht hat, möchte das in einer bedeutenderen internationalen Klasse wiederholen. Und wer gut genug ist, wechselt in eine Olympische Disziplin. Denn eine Medaille bei den Segelspielen ist die Krönung einer Karriere. Zumal es meist nur eine einzige Chance darauf gibt, weil danach der Körper zu alt ist oder wirklich anderes anliegt. Wohl deshalb sind Medaillen in Deutschland rar, mehr als ein Dutzend sind es nicht.
Bei Paul Kohlhoff und Carolina Werner ist das mit dem Karrieredenken nicht anders. Sie hoffen deswegen auf eine Entscheidung der DOSB-Granden zu ihren Gunsten.
Sondernominierungen hat es in Deutschland noch nicht oft gegeben. Die berühmteste wohl im japanischen Enoshima 1964. Da haben die Entscheider kurz vor knapp einen Westdeutschen namens Willi Kuhweide im Finn Dinghi nominiert, während sein ostdeutscher Counterpart Bernd Dehmel ebenfalls schon am Strand takelte, aber zum entscheidenden Zeitpunkt gerade weg war.
De facto galt mitten im Kalten Krieg zwar schon die Zwei-Staaten-Theorie, nur anerkannt hatte sie noch niemand. Was das Olympiakommitee nach dem Motto „ach, dann segelt doch beide“ aus Versehen hätte tun können. Beide waren sie Weltspitzenathleten und Favoriten, Dehmel gestützt durch das DDR-Kadersystem und bereits astreiner „Diplomat im Trainingsanzug“, Kuhweide freigestellter Lufthansapilot aus Westberlin. Am Ende durfte Kuhweide segeln, holte Gold und wurde zum ersten Segelsuperstar Nachkriegsdeutschlands.
Aktuell darf niemand im Olympischen Finn Dinghi Deutschland repräsentieren. Zu unbedeutend im internationalen Umfeld seien die Erfolge, befand der DOSB. Das könnte sich im Willi-Kuhweide-Land vielleicht ändern. Denn nicht nur, dass der junge Phillip Kasüske erst vor ein paar Wochen bei der Weltmeisterschaft überraschenderweise das Premiumfeld angeführt hat. Auch der amtierende Deutsche Meister und Träger des Gelben Trikots bei der Kieler Woche – vor Kasüske – könnte bei den kommenden Ausscheidungen ein Wörtchen mitzureden haben. Sein Name: Max Kohlhoff.
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