Aktionen gegen Rechte in Berlin: „Für die Nazis wurde es ungemütlich“
Schöneweide galt lange als Neonazi-Schwerpunkt in Berlin, doch mittlerweile hat sich das geändert. Was war für den Erfolg nötig?
taz: Herr Signer, das Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick wurde 2004 gegründet. Wie war damals die Ausgangssituation?
Samuel Signer: Wir hatten hier in den 1990er Jahren eine sehr aktive Neonazi-Szene in Schöneweide, die hauptsächlich kameradschaftlich organisiert war und über massive Infrastruktur verfügte. Die Bezirksverordnetenversammlung hat dann beschlossen, dieses bezirkliche Zentrum zu gründen, um eine Stelle zu haben, die ganz dezidiert im Auftrag der BVV und aller demokratischer Parteien über rechte Strukturen aufklärt und eine demokratische Alltagskultur und Engagement fördert.
Gab es zu diesem Zeitpunkt bereits vergleichbare Einrichtungen in Berlin?
Ein solches Zentrum gab es damals noch nicht. Die Netzwerkstellen Moskito in Pankow und Lichtblicke in Lichtenberg, mit denen wir bis heute sehr eng zusammenarbeiten, haben allerdings damals schon einen ähnlichen Ansatz verfolgt.
Wie sieht dieser Ansatz aus?
Ein großer Teil unserer Arbeit besteht aus politischer Bildungsarbeit: Wir machen Veranstaltungen, gehen an Schulen, in Vereine oder zu Parteien und klären dort über Neonazis und Rassismus auf.
Was erzählen Sie auf diesen Veranstaltungen?
Das ist unterschiedlich: Es gibt die Klassikerthemen, zum Beispiel, woran man Neonazis erkennt, welche Codes und Symbole sie benutzen. Und dann natürlich je nach politischer Situation neue Themen, in letzter Zeit reden wir zum Beispiel viel darüber, wie die Neonaziszene versucht, Bürgerproteste gegen Flüchtlingsunterkünfte zu steuern, wie sie an Alltagsrassismus anknüpfen kann. Der andere Teil unserer Tätigkeit ist die Netzwerkarbeit: dass wir Menschen, die sich engagieren wollen, zusammenbringen, dass wir Bündnisse ins Leben rufen mit ganz verschiedenen Akteuren, um auf mehreren Ebenen gegen Neonazistrukturen vorgehen zu können.
Wie sieht das konkret aus?
Wir haben es über die Jahre geschafft, dass Gruppen an einem Strang ziehen, die das früher nicht gemacht hätten. Dass auf einer Antifa-Demonstration gegen den Henker [ehemalige Neonazi-Kneipe in der Brückenstraße; Anm. d. Red.] ein Grußwort des Bezirksbürgermeisters vom Lautsprecherwagen kommt, dass einfach allen klar ist, dass es darum geht, zusammenzuarbeiten und sich nicht etwa in Diskussionen über den Extremismusbegriff zu verlieren. Für uns war immer klar, dass wir auch mit antifaschistischen Gruppen zusammenarbeiten, weil die zum einen häufig selbst von rechter Gewalt betroffen sind und zum anderen viel Expertise haben. Gleichzeitig ist aber auch klar: Antifa-Aktionen allein reichen nicht aus, der Bezirk und die hier ansässige Zivilgesellschaft müssen mitziehen.
27, arbeitet seit 2013 im Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick. Er betreut dort unter anderem das bezirkliche Register zur Erfassung rechtsextremer Vorfälle und das Projekt „Berliner Beirat für Schöneweide“ in Kooperation mit dem Senat.
Oft tun sich PolitikerInnen schwer damit, ein lokales Rechtsextremismusproblem zu benennen – aus Angst, den Ruf des Orts mit dem Abstempeln als braune Hochburg zu ruinieren. Gab es dieses Problem in Schöneweide nicht?
Zum Glück wurde hier von allen Ebenen anerkannt: Wir haben ein Problem, aber wir tun auch was dagegen. Das ist ein viel erfolgversprechenderes Konzept als diese Leugnung, die einem sonst häufig begegnet. Das hatte sicher auch damit zu tun, dass viele Menschen aus Parteien und Zivilgesellschaft selbst zur Zielscheibe von Neonazi-Aktivitäten geworden sind – da gab es ein eigenes Interesse, dieses Problem anzugehen.
Mittlerweile ist es gelungen, die organisierte Neonazi-Szene in Schöneweide weitgehend zurückzudrängen. Wie war das möglich?
Wir haben es den Neonazis ungemütlich gemacht, indem wir ihre Infrastruktur angegangen sind, die sie hier in Schöneweide massiv aufgebaut hatten, von den Kneipen und Discos bis hin zu einem Buchladen und einem Waffengeschäft. Die Leute selbst kriegst du ja nicht ohne Weiteres weg, aber diese Infrastruktur, die kann man auf verschiedenen Ebenen angehen, von der Gegendemonstration bis zum Gespräch mit Vermietern. Wenn man das schafft, dass diese Läden schließen müssen, wenn man es den Nazis ungemütlich macht, erreicht man auch, dass die dann wegziehen oder nicht mehr hier aktiv sind.
Ist dieses Erfolgsmodell denn auch auf andere Orte in Berlin übertragbar?
Im Prinzip schon, aber das hängt natürlich auch immer sehr von den lokalen Gegebenheiten ab, was genau jetzt die erfolgversprechendsten Maßnahmen sind. Aber diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen und Ebenen und die Fähigkeit, das Problem beim Namen zu nennen, das sind schon Voraussetzungen für den Erfolg, würde ich sagen.
Dieses Interview ist Teil des aktuellen Themenschwerpunkts in der Wochenendausgabe der taz.berlin. Darin außerdem: eine lange Reportage aus Marzahn-Hellersdorf. Ab Samstag am Kiosk und in Ihren Briefkasten.
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