: Leider gar nicht übertrieben
Kommentar
von Ines Kappert
Aktion „Flüchtlinge fressen“
„Wer sich Kampagnen wie ‚Flüchtlinge fressen‘ ausdenkt, der hat sich von der Verrohung der Flüchtlingspolitik anstecken lassen“, schrieb Christian Jakob an dieser Stelle zur neuesten Aktion des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS). Das ZPS kündigt an, ein Flugzeug zu chartern, das Menschen ohne Visum sicher nach Deutschland bringt.
Das habe Sinn, so Jakob – jedoch gleichzeitig eine Arena mit vier Tigern zu bestücken und bei Nichtgelingen der illegalen Passage verzweifelte Geflüchtete zum Suizid einzuladen, sei zu viel der Menschenverachtung. Doch nicht das ZPS speist den Zynismus in die Mitte der bürgerliche Gesellschaft ein, es macht die Normalisierung der Menschenverachtung sichtbar, leider ohne zu übertreiben.
Bilder von Ertrunkenen
Der Innenminister griff dieser Tage ohne Faktengrundlage Ärzte in Deutschland an, weil sie vermehrt Atteste ausstellen würden, um Abschiebungen zu verhindern. Diese Verleumdung kostet Menschenleben. Doch genau daran sollte sich die Gesellschaft gewöhnen. Und wir halten die Bilder von Ertrunkenen und entsetzten Überlebenden, die auf der Balkanroute in Internierungslager gesteckt werden, ja schon ganz gut aus.
Im Rahmen der Kunstaktion werden nationale Grenzen als Verbrechen gewertet, Kunst und Aktivismus vermischt, wird guter Geschmack mit schlechtem verbunden und die richtige politische Forderung gestellt. So soll Gauck die EU-Richtlinie aussetzen, die festlegt, dass Fluggesellschaften, die Menschen ohne Visum mitnehmen, hohe Geldstrafen zahlen müssen.
Das ZPS weist damit auch den Kritiker_innen der Flüchtlingspolitik eine zweifelhafte Rolle zu. Wenn Menschen vor laufender Kamera und ganz legal das Recht auf Leben entzogen wird, ohne dass die Gesellschaft kopfsteht, dann hat die Menschenverachtung den Alltag der Mehrheitsgesellschaft gekapert. Längst haben wir uns zum Teil des brutalen Spektakels machen lassen.
Langversion sowie Kommentar von C. Jakob auf taz.de/berlin
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