Debüt Sich selbst in den Irrwitz retten: Sascha Machts erster Roman kommt in der Hölle klar: Gegen die Realität hilft der Schrecken
von Moritz Müller-Schwefe
Verwüstung überall. Aufgegebene Städte, brennende Autos, Leichen auf offener Straße. In der deutschen Gegenwartsliteratur herrscht Endzeitstimmung. Die Dystopie hat Konjunktur – und mit ihr Beklemmung, Angst, Schutt und Asche. Was dem entgegensetzen?
Sascha Macht versucht es mit Humor. In seinem viel beachteten Romandebüt „Der Krieg im Garten des Königs der Toten“ konfrontiert der 1986 geborene Autor, der am Literaturinstitut Leipzig studiert hat und Ende dieses Monats beim Bachmannpreis in Klagenfurt lesen wird, seinen 17-jährigen Protagonisten Bruno Hidalgo mit dem, so scheint es, gewohnten Setting.
Putsch in Kajagoogoo
Die gerade erst dem Ozean entstiegene und von hoffnungsvollen Siedlern erschlossene Heimatinsel Brunos ist bereits überzogen vom Chaos politischer Machtkämpfe. Sozialisten gehen gegen die umstrittene Regierung der wirtschaftsnahen Präsidentin vor. Putschversuche werden unternommen und ganze Landstriche durch Gefechte verwüstet. Bewohner verschwinden, werden wahn- oder schwachsinnig.
Die Insel verwahrlost, Brunos Heimatort Kajagoogoo inklusive. Zu allem Überfluss machen sich seine Eltern auch noch über Nacht aus dem Staub und lassen ihn allein zurück.
Wie also klarkommen in dieser Hölle, als elternloser Teen? Mit Gedanken an die verschwundenen Eltern hält sich Bruno nicht lange auf. Stattdessen bekommt er eine Videokamera in die Finger und beginnt damit, seine Umgebung zu filmen, sich einen Überblick über die Misere zu verschaffen. Die aber kann der in seinem schrumpfenden Heimatdorf sozial einigermaßen Isolierte allein mit seinen Dokumentationen nicht verarbeiten.
„Wenn ich weiterhin filmen wollte“, kreisen Brunos Gedanken gleich auf den ersten Seiten um seine neue Leidenschaft, „dann musste ich etwas finden, um dieser Wirklichkeit beizukommen, sie in ihre Schranken zu weisen, ihr den ganzen Hass und Zorn meiner jugendlichen Existenz entgegenzuschleudern, in der Hoffnung, dass sie zerbrechen und etwas anderes hinter ihr zum Vorschein kommen würde.“ Es dauert nicht lang, bis Bruno in einem nahen Dorfladen auf das geeignete Gegenmittel stößt: Horrorfilme.
Denn schließlich geht alles auch noch schlimmer. Was ist das Chaos der Inselwirklichkeit schon gegen die absurden – und ausführlich rekapitulierten – Schreckensszenarien von Filmen wie „Die tote Universität“, „Die Kakerlaken Phrygiens“, „Bulbin der Zertrümmerer“ oder „SS-Standarte Zombie II“? Der filmische Irrsinn hilft Bruno dabei, sich mit der Wirklichkeit zu arrangieren. „Zum Vorschein“ kommt ihre ganze Absurdität, die Sascha Macht in der Folge eindrücklich inszeniert, auch wenn er dabei den Spannungsbogen der Story ab und zu aus den Augen verliert, sie immer wieder in irrwitzige Geschichtchen und Details ausfransen lässt.
Was anfangs zu verkraften ist. Denn Figuren wie der kränkelnde „Preuße“, den Bruno bei einem Ausflug in die Hauptstadt der Insel aufgabelt und der außer einer Reisetasche voller Diktatorenbiografien nicht viel mit sich herumträgt, sind erst mal ziemlich komisch. Genauso wie all die „scheinheiligen Metaphern“, in die sich Bruno gern verrennt. Oder der wilde Schauplatz, die unüberblickbare Insel mit all ihren Bruchbuden, Steppen, Monstern und Mythen. Ja, komisch sind vielleicht auch noch Dialoge über nordkoreanische Tiefkühltruhen, die „heimlich den Einmarsch der Koreanischen Volksarmee“ vorbereiten sollen.
Komik des UnerklärtenSobald aber Witz und Irrsinn sich erschöpfen, wird das Problem des Romans offensichtlich. Denn die eigentliche Motivation seiner Geschichte, seiner Figuren lässt Macht zu keiner Zeit durchscheinen. Die Handlung fällt der ständigen Übersteigerung zum Opfer.
Damit unterläuft Sascha Macht zwar gekonnt traditionelle Erwartungen der Leser an einen Roman und seine Figuren, setzt aber stattdessen eben ganz auf die sich zu schnell verbrauchende Komik des Unerklärten, der Ironie und Kontingenz. Keine der auftretenden Figuren weiß, warum sie tut, was sie tut, und vorhat, was sie vorhat. Revolutionsführer Dr. Silvestro weiß nicht, warum er gegen die Regierung putscht, und Brunos Lieblingsregisseur X Wohlff nicht, warum er Filme dreht, die er im Übrigen selbst mies findet. So bleiben die Figuren durchsichtig, fehlt es der Story auf Dauer an Tiefe und Spannung. Ihre Entgegnung auf die allgemeine Endzeitstimmung, ihre Gegenwelt, besteht im Lachen.
Sascha Macht: „Der Krieg im Garten des Königs der Toten“. DuMont, Köln 2016, 272 Seiten, 19,99 Euro
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