: Messias der Unmoral
LIFE SUCKS Regisseur Todd Phillips porträtiert in „Hated“ (1993) mit GG Allin den fiesesten Punkrocker aller Zeiten
von Andreas Hartmann
Punks sind heute die Typen, die einem die Tür zur Sparkasse öffnen und, wenn man sie nicht weiter beachtet, hinterherrufen: „Trotzdem noch einen schönen guten Tag.“ Nur gut, dass GG Allin diese höflichen Sparkassenpunks nicht mehr miterleben musste. 1993 ist er nach einem Gig in Manhattan standesgemäß nach einer Überdosis in einem New Yorker Apartment gestorben, er wurde gerade mal 36 Jahre alt. In seiner Karriere als Punksänger, die in den frühen Achtzigern begann, hatte er sich den ordentlichen Ruf erarbeitet, der fieseste und gesellschaftsunfähigste Punkrocker aller Zeiten zu sein. Sid Vicious und Iggy Pop wirken gegenüber Allin wie Ministranten.
„Hated“, die Dokumentation des Regisseurs Todd Phillips über das Leben und Schaffen von GG Allin, ist kurz vor dessen Tod erschienen. Der Meister durfte den Film selbst noch in einem Kino sehen, er soll recht zufrieden mit ihm gewesen sein und zum Dank eine leere Bierflasche in Richtung Leinwand geworfen haben.
Die Geschichte des Punk wird längst gerne mit kulturwissenschaftlichen Instrumentarien untersucht und mit Kunstbewegungen wie Dadaismus und Situationismus kurzgeschlossen. Auch bei Allins Performancekunst lassen sich kunsthistorisch Vorläufer finden, den Wiener Aktionismus etwa. Doch an derlei intellektuellem Klimbim ist „Hated“ nicht interessiert. Was nicht bedeutet, dass sich Regisseur Todd Phillips nicht auf Spurensuche begeben hätte, um herauszufinden, wie aus dem Jungen, der in einem Kaff in New Hampshire geboren wurde, dieses Monstrum des Punk werden konnte. Ein Typ, der auf seinen Konzerten meist völlig nackt auftrat, auf die Bühne urinierte und kackte, sich dabei selbst blutig schlug und Leute aus dem Publikum verprügelte. Musiker seiner zur Drehzeit aktuellen Band The Murder Junkies – wunderbar anzusehen ist der imposante Hitlerbart seines Bruders Merle, Bassist der Murder Junkies –, kommen ebenso zu Wort wie alte Schulfreunde und Fans. Und GG Allin selbst natürlich auch.
Man kommt einem Mann näher, der in einer christlichen Familie aufwuchs, sich bald für Popmusik interessierte, vor allem für Bands der British Invasion wie die Beatles und die Rolling Stones. Er lernte Schlagzeug zu spielen, sein Vorbild war Keith Moon von The Who, der seinerzeit als der wildeste Drummer überhaupt galt. Aber erst dank Punk fand er, je nachdem, zu sich selbst oder zur Kunstfigur GG Allin. Erkenntnisse darüber, inwieweit er nur die Rolle des White-Trash-Abschaums spielte, liefert „Hated“ nämlich nicht. Während eines seiner vielen Auftritte in einer Talkshow, zu der er als personifizierter Bürgerschreck geladen wurde, erklärte er einmal ausführlich, warum er Vergewaltigung für eine gute Sache hielt, allerdings lässt sich hier nur darüber spekulieren, ob er mit derartigen Aussagen vor allem seiner Rolle für das Fernsehen besonders gerecht werden wollte. „Hated“ legt eher nahe: GG Allin war einfach so, ein asoziales Arschloch mit „Fuck you“- und „Life sucks“-Tattoos, beseelt von der Mission, den Rock ’n’ Roll von Phil Collins und Konsorten zu befreien und ihn wieder wirklich als gefährlich und gesellschaftszersetzend erscheinen zu lassen.
Die religiösen Erfahrungen seiner Kindheit prägten GG Allin bis zum Schluss, er hatte regelrecht Erlöserfantasien, die darin gipfelten, dass er irgendwann bekannt gab, sich im Namen des Rock ’n’ Roll auf der Bühne selbst zu töten. Er inszenierte sich als eine Art Messias der Unmoral. Er sei Gott, Jesus und Satan in einer Person, sagte er einmal, und in einer Talkshow formulierte er den Satz: „Mein Körper ist der Tempel des Rock ’n’ Roll. Mein Fleisch, mein Blut und meine Körpersäfte sind die Kommunion für die Menschen.“
GG Allin war eine Unterklassen-Version von „Church of Satan“-Gründer Anton LaVey, Charles Manson und Donald Trump. Regeln und Moral galten für ihn nicht. Es gibt Footage in „Hated“, in dem man immerhin sieht, wie GG Allin während einer Performance eine Frau aus dem Publikum schlägt und sie an den Haaren zieht und das wirkt nicht bloß wie Theater.
Über 50 Mal wurde GG Allin bei seinen Konzerten von der Polizei festgenommen. Einer, der mit seiner eigenen Scheiße sein Publikum bewarf, das war einfach zu viel in den USA. Hätte er jedoch gar nicht mehr auftreten dürfen, wäre er Massenmörder geworden, sagte Allin.
Er gab alles dafür, gehasst zu werden, und dafür liebten ihn seine Fans. Auch Kurt Cobain, der sich dann wirklich im Namen des Rock ’n’ Roll opferte, war einer seiner Bewunderer. Das mit dem öffentlichen Suizid, seiner Kreuzigung, wenn man so will, hat dann ja nicht geklappt bei GG Allin, aber für diesen Sachverhalt gibt es immerhin einen passenden Song von ihm: „Die when you die“.
„Hated – GG Allin & The Murder Junkies“. Regie: Todd Phillips, USA 1993, 52 Min. (OmU)
Brotfabrik Kino, Caligariplatz 1, 10.–12. 6., je 22 Uhr
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