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Von Kunden und Königen

PROTESTKULTUR Künstler haben Ikea in Moorfleet einen Besuch abgestattet. Die Protestaktion ist zu einem Lehrstück über Kunst, Marketing und die Arbeit des Konsums geraten

Kaum hatten sich die Künstler niedergelassen, stand schon ein dienstbarer Geist in Blau-Gelb da

VON MAXIMILIAN PROBST

Die Idee war gut, ebenso die Umsetzung – auch wenn mal wieder alles anders lief als geplant und das Ergebnis zeigte …, wie Ikea funktioniert? Wie die Kunst läuft? Wie Protest scheitert?

In Altona haben vor ein paar Monaten Raum suchende Künstler die alte Kaufhaus-Betonruine Frappant bezogen. Mittlerweile arbeiten in dem morbid-charmanten 70er-Jahre-Klotz 130 Freischaffende. Ungewiss nur, wie lange noch. Denn das Gebäude ist verkauft, zehn Millionen Euro hat Ikea dafür hingeblättert, und nun setzt der Möbelriese zum Sprung von der Peripherie ins Herz der Metropole an. Da wird von den Künstlern erwartet, dass auch sie mal wieder springen, andersrum als Ikea, also husch, an den Rand! Die sind ja so mobil! Brauchen doch nur Stift und Papier, stimmt’s? Diesem Vorurteil wollten nun die Künstler ihr Nein entgegenschmettern, und Ikea „mal zeigen, dass das nicht immer so einfach ist“. So steht’s in der Einladung zum Betriebsausflug, der die Künstler am Mittwoch in die Ikea-Filiale Moorfleet führte.

Ikea liest mit – um dran zu bleiben

Es sollte gebastelt, gemalt, geplant, gestritten, improvisiert, interveniert, visualisiert werden – all das, was Künstler so machen, nur eben nicht im Atelier, sondern mittendrin in der Möbelwelt. Ab 15 Uhr, aber bitte nicht das Haus in einer Gruppe stürmen, Ikea schöpfe sonst Verdacht, mahnte die Einladung. Ganz umsonst, denn Ikea liest mit, alles und jedes. Aus Prinzip. Um dran zu bleiben, um nicht irgendwann unter die Räder der Geschichte zu geraten. Eine Befürchtung, die das Gestaltungsprinzip etwa jener Ikea-Schrankwand abgegeben haben muss, die das wimmelnde Zeichenvokabular der Streetart-Szene ziert.

Mitgelesen hatte Ikea also auch die Pläne über den Betriebsausflug. Und sich vorbereitet. Um 14.45 Uhr schieben sich die Jungs vom Security-Dienst noch schnell ihren Hotdog rein, wischen sich um 14.50 Uhr das Fett von den Händen, rein in die Frisur, die der Ikea-Fußmatte „Trampa“ für 12,99 Euro aufs Haar gleicht, und vertreten sich die Füße vor dem Eingang, wo, sicher ist sicher, gleich noch ein Polizei-Wagen parkt.

Selbstredend hatten die Sicherheitsbeauftragten den Auftrag, sich zurückzuhalten, Ikea ist ja, nur so geht Welteroberung heute, erstmal weltoffen. Und so sahen sich die gut 30 Künstler, als sie mit der berufsqualifizierenden Verspätung ins Haus einfielen, von freundlichem Service-Personal empfangen. Kaum haben sie sich an den Schreibtischen niedergelassen, in einem Wohnzimmer ausgebreitet, steht ein dienstbarer Geist in Blau-Gelb da, wünscht frohes Schaffen und verteilt Gutscheine: „Für Ihre Kaffeepause.“ Feiner Zug? 50 Cent kostet die Brühe bei Ikea. Kann also auch als „ganz billiger Bestechungsversuch“ durchgehen, wie eine Künstlerin kommentiert, die gerade den Ikea-Katalog aufhübscht.

Protest verhallt, sobald er auf den Plüsch des Wohlwollens trifft. Fast sah es so aus, als sei das Ganze eine Marketing-Maßnahme für Ikea, in der die Künstler das reale Leben in den Laden bringen, von dem der Katalog immerzu träumt. Da sitzen sie, in Grüppchen an den Tischen, und diskutieren, gestikulieren, liegen in den Betten, oder sitzen leger in Sofaecken und führen übers Mobiltelefon veritable Entscheider-Gespräche. Und der Vibrator im Regal? Schmunzelnder Stilbruch, wird sich der weitblickende Ikea-Stratege denken und nächstens eine weniger drastische Form dafür suchen.

Nicht Künstler schuften bei Ikea, sondern Kunden

Siegt Ikea also auf ganzer Linie? Ganz und gar nicht. Denn wenn auch der Protest ins Leere geht, und die Zivilbeamten über „die Weihnachtsfeier“ der Künstler feixen, so werfen deren Aktionen doch ein Schlaglicht auf das Geschäft von Ikea und jene, die es mit ihrer Geschäftigkeit am Laufen halten: die Kunden. Denn nicht die Künstler sind es, die, obwohl zur Arbeit angereist, bei Ikea schuften. Die Kunden sind’s. Wie so ein Blick gehetzt von Tisch zu Tisch, von Preisschild zu Preisschild springen kann. Oder jener dort: lässt eine Schublade herausspringen, tritt zurück, tritt vor, lässt sie wieder einrasten, zieht sie nochmals heraus, sieht zur nächsten Kommode, hinter der sich eine übernächste ankündigt, und Schubladen über Schubladen, die herausgezogen werden müssen, und wieder einrasten. Nur einer, der nicht rastet: Er, der Kunde, im Würgegriff der Konsumpflicht.

Pflicht? Aber er will, aber wir alle wollen doch, ließe sich einwenden. Ikea lässt uns doch alle Freiheiten. Ja richtig, da hängt es auch schon, das Hinweisschild: „Wähle hier deinen Stil“. Wählen ist immer gut. Hier also zwischen: Pax Bergso, Pax Birgeland, Pax Dramnen, Pax Nexus, Pax Hennes, Pax … Auf dem Schild hätte freilich auch stehen können: „Finde den Unterschied“. Wiederkehr des Gleichen lautet die Losung, die Ikea immer noch am trefflichsten charakterisiert. Es ließe sich fragen, was am Design von Pax, Billy oder Benno demokratisch sein soll. Es sei denn, vorausgesetzt wird das neoliberale Demokratieverständnis: Sei ganz du, mach mit, entscheide selbst – ohne dass es eine echte Alternative gäbe in dem engen Rahmen, den wir dir stecken.

Der Künstler wird, was der Kunde gern wäre: König

Die spielenden Künstler zeigen den Ikea-Kunden ihre Grenzen auf, in dem sie diese überschreiten. Damit wird der Künstler zu dem, was sich der Kunde so inbrünstig wünscht, dass er immer wieder vorgespielt bekommt, es schon zu sein: zum König. Der wiederum, in dem er sich über die Ordnung der Dinge hinwegsetzt, nicht zu unterscheiden ist – vom Verbrecher.

„Finde deinen Weg“ rät ein Leuchtkubus, der überall im Ikea-Labyrinth von der Decke hängt. Guter Rat. Eine Künstlerin hat das Motiv aufgegriffen. Auf ihrem Bild leuchtet das Schild mit dem milden Schimmer der Hoffnung: dass, wer seinen Weg gefunden hat, sich womöglich gar nicht erst zu Ikea verirrt.

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