piwik no script img

Jürgen Vogel über starke Frauen im Film„Wir Deutsche hängen hinterher“

Schauspieler Jürgen Vogel spielt im ZDF-Film „Vertraue mir“ eine Nebenrolle. Er wünscht sich noch mehr Geschichten aus weiblicher Perspektive.

Marc (Jürgen Vogel) und Elena (Julia Koschitz) spionieren nachts in der Bank Foto: Martin Valentin Menke/ZDF
Peter Weissenburger
Interview von Peter Weissenburger

taz: Herr Vogel, Ihr Film „Vertraue mir“ ist ein … ja was eigentlich? Ein Actionthriller, eine Liebesgeschichte?

Jürgen Vogel: Ich würde sagen, es ist eine ungewöhnliche Liebesgeschichte oder eben ein ungewöhnlicher Thriller, je nachdem. Das hat mir gleich an dem Drehbuch gefallen, dass es ein gemischtes Genre ist. Es geht um eine Männerwelt, innerhalb derer wir eine weibliche Geschichte erzählen.

Inwiefern weiblich?

Die Hauptfigur, die Julia Koschitz spielt. Der Film ist aus ihrer Sicht erzählt. Es gibt sehr wenige Filme mit so starker weiblicher Präsenz. Es ist leider immer noch so, dass die Männerrollen meist dominant sind und die Frauen stehen irgendwo nebendran. Ich mag dagegen Filme, in denen Frauen die starke Figur sind und die Männer an der Seite stehen. Die Franzosen machen das dauernd, wir Deutschen hängen ein bisschen hinterher.

Geht es Ihnen um die Gleichberechtigung als politisches Ziel, oder ist es an sich ein Gewinn, eine weibliche Hauptrolle zu haben?

Es geht mir gar nicht ums Politische. Es geht mir darum, etwas dazuzulernen. Wie Männer funktionieren, das weiß ich doch. Was ich spannend finde: Wie funktionieren Frauenrollen, wie werden weibliche Geschichten erzählt? Das gibt’s einfach noch nicht so oft.

Es ist nicht lange her, da war der Bankier der Inbegriff des Langweilers. Warum sehen wir auf einmal Thriller aus der Finanzbranche?

Weil diese Welt spannend ist. Diese Distanz zwischen dem Menschlichen und dem Geschäft – es ist ein bisschen wie im Krankenhaus: Wir können doch gar nicht begreifen, wie versachlicht Ärzte manche Dinge ausdrücken, dass sie solche Sätze sagen können wie „Sie haben noch drei Monate zu leben“. Wie geht so was? Mit der Finanzwelt ist es ähnlich. Wie sagt man jemandem: „Leider haben Sie Ihr Vermögen verloren, wir haben da aufs falsche Pferd gesetzt“? Das erschließt sich uns nicht auf Anhieb, und gerade das macht uns neugierig. Leute, die so abgefuckt rumzocken und teils Millionengewinne einfahren, was für Auswirkungen hat das auf deren Privatleben? Wie geht es so jemandem, wenn er nachher in der Badewanne sitzt? In beiden Welten, Krankenhaus und Bank, ist eine bestimmte Einstellung nötig, um damit zurechtzukommen.

Zynismus?

Keine Ahnung, ob ich das Zynismus nennen will. Die Leute steigen in diese Branchen ein und wissen meistens überhaupt nicht, was sie erwartet. Ich glaube tatsächlich, dass die da so reinrutschen. Am Anfang ist man vielleicht geschockt von dieser Welt, dann aber wird man neugierig, entwickelt Ehrgeiz – und irgendwann hat man einfach keinen Bezug mehr zu dem, worum es da eigentlich geht. Die ganze Arbeit entmenschlicht und versachlicht sich; sie wird zu einer Routine, in der man gar nicht mehr darüber nachdenkt, was sie für den Einzelnen eigentlich bedeutet. Wenn das zynisch ist, dann ist jeder Beruf in gewisser Weise zynisch.

Sie spielen den EDVler Marc, der seinen Job in der Bank verloren hat, weil er seinen Prinzipien gefolgt ist. Ist er den anderen in dieser Welt moralisch überlegen?

Ich hab so meine Probleme mit dem Wort Moral. Das suggeriert ja, das jemand besser ist, aber aus moralischen Gründen wurden ja auch schon ganz viele Menschen umgebracht. Zum Beispiel weil sie an etwas anderes geglaubt haben. Das war damals höchst moralisch. Klar, Marc hat auf jeden Fall seine Prinzipien, ob die gut oder schlecht sind, so etwas bewerte ich nicht.

Das hat aber schon etwas Zynisches zu sagen, ich werte nicht in Gut und Böse.

Alles Positive kann je nach Perspektive immer auch negativ sein. Man kann das so sehen, dass Marc aus der ganzen Bankenwelt ausgestiegen ist und er deshalb der bessere Mensch ist. Aber gleichzeitig weiß ich das nicht. So wie ich die Regisseurin Franziska Meletzky einschätze, möchte sie mit dem Film niemanden belehren. Es geht ihr nicht darum, der bösen Bankenwelt einen guten Menschen gegenüberzustellen. So eindeutig ist das nicht. Wirklich spannend ist doch, wenn alles ambivalent bleibt und ich mir selber Gedanken darüber machen muss, wie ich das, was passiert, bewerte.

Die Hauptfigur Elena hat ihr Leben ihrer Arbeit in der Bank geopfert. Jetzt läuft sie Gefahr, alles zu verlieren. Spielt der Film hier mit unseren Abstiegsängsten?

Mit unserer Existenzangst, ja. Elena hat sich in dieser Welt der Banken, der Männer und des Geldes ehrgeizig hochgekämpft, und plötzlich könnte alles kippen. Sie hat dafür viel zurückgestellt, hat ihr Leben nicht richtig gelebt. Sie hat auf alles verzichtet, das eine Bedrohung für ihre Karriere sein könnte, zum Beispiel die Liebe. Klar ist da die Angst riesig, alles zu verlieren oder etwas falsch zu machen.

In Ihrer Branche ist es ja auch so, dass man viel zurückstellen muss. Haben Sie denn auch solche Ängste?

Sagen wir so, ich würde niemandem raten, Schauspieler zu werden.

Warum nicht?

Du musst auf der einen Seite wahnsinnig sensibel sein und auf der anderen ein ganz dickes Fell haben. Diese Mischung kriegt man selten richtig hin. Dass man das alles nicht zu ernst nimmt, nicht alles auf sich bezieht, wenn mal etwas nicht klappt, dass man aber trotzdem eben nicht zynisch wird und bei der Arbeit auch mal Kind sein kann. Wenn man die Balance nicht hält, ist der Job wirklich unerträglich.

Aber wird man dafür nicht auch ganz gut bezahlt?

Sicher geht es uns Schauspielern gut, weil wir relativ viel Geld verdienen – aber die Leute denken manchmal, es ist wie in Amerika: dass du ausgesorgt hast, wenn du ein bekannter Schauspieler bist. Bei uns ist das aber nicht so. Es gibt Beispiele von Kollegen, die den deutschen Film über eine ganze Ära hinweg getragen haben, die Fassbinder-Schauspieler etwa. Die Leute aus dieser Zeit haben heute teils echte finanzielle Probleme. Man müsste eigentlich mal bei einem wie Günther Lambrecht anrufen und fragen: „Günther, wie geht’s dir heute?“ Günther ist ein Star, er und seine Kollegen haben Deutschland jahrelang kulturell repräsentiert und hätten dafür meiner Meinung nach eine fette Rente verdient. Tatsächlich wird die Leistung dieser Leute aber in Deutschland sehr gering bewertet.

Waren Sie denn schon einmal an so einem Punkt, wo Sie dachten: Wenn jetzt nichts passiert, dann war ’s das mit der Karriere?

Der Film

Montag, 6. Juni, 20.15 Uhr, ZDF, „Vertraue mir“; Regie: Franziska Meletzky; DarstellerInnen: Julia Koschitz, Jürgen Vogel

Ich hatte von vornherein nie das Gefühl: Jetzt hab ich’s geschafft. Ich wusste, das gibt’s in diesem Job einfach nicht. Du kannst zu einem Zeitpunkt ein richtig gutes Leben haben, und fünfzehn Jahre später lebst du am absoluten Existenzminimum, hängst jeden Abend in deiner Kneipe rum, weil du’s sonst nicht aushältst, und fällst schließlich aus dem Fenster. Das ist ja schon vielen passiert.

Angst davor haben Sie nicht?

Mein Vorteil ist, das ich ein Ghettokind bin. Selbst wenn ich nichts habe, hat das keine großen Auswirkungen drauf, wie ich mich als Mensch fühle. Ich versuche, mich nicht darüber zu definieren, dass ich ein bekannter Schauspieler bin. Ich bin lieber ein guter Freund, Vater, Ehemann, ein guter Mensch halt. Theoretisch kann ich in einer 35-Quadratmeter-Wohnung leben, ohne das Gefühl zu haben, ein Loser zu sein. Natürlich habe ich trotz alledem auch Existenzängste, aber letztlich weiß ich, dass ich auch damit klarkommen würde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare