Schülerprognose des Berliner Senats: Das wächst sich nicht aus
Bis 2025 wird Berlin rund 75.000 Schüler mehr haben als derzeit. Allerdings fehlt das Geld für neue Schulen. Wo soll der Nachwuchs unterrichtet werden?
Wenn Kinder größer werden, tut das manchmal weh: Wachstumsschmerzen, heißt es dann. Diese Diagnose bringt aber auch recht gut auf den Punkt, was derzeit gerade mit Berlin geschieht. Die Stadt wächst – die letzte Bevölkerungsprognose des Senats geht von 7,5 Prozent Wachstum bis 2030 aus, dann würden rund 3,8 Millionen Menschen in Berlin leben – und sie tut dies unter Schmerzen. Zum Beispiel, wenn man sich die Schulen anschaut.
Die Linksfraktion hatte nach der jüngsten Schülerzahlprognose gefragt, die Antwort der Senatsverwaltung für Bildung liegt jetzt vor. Demnach müssen die Schulen bis 2025 Platz und Lehrkräfte für 75.000 zusätzliche SchülerInnen schaffen – ein Plus von 25 Prozent.
Zur Einordnung: Das sind noch mal zehn Prozentpunkte mehr, als im vergangenen Jahr prognostiziert. Die meisten SchülerInnen wird mit rund 40.000 der Bezirk Pankow haben. Die höchste Steigerungsrate hat allerdings Lichtenberg mit 11.000 SchülerInnen mehr. Zum Vergleich: Im Schnitt kommen 6.200 SchülerInnen mehr auf die Bezirke zu.
Nun zum Verständnis: Was heißt das für die SchülerInnen – werden sie in fünf Jahren im Schichtbetrieb unterrichtet werden, weil noch immer kein Geld für neue Schulen da ist?
Und jenseits der alarmistischen Wasserstandsmeldungen zu den Schülerzahlen – die nach der jüngsten Bevölkerungsprognose des Senats erwartbar waren – ist schließlich noch eine Entwicklung bemerkenswert: Die Sonderpädagogischen Förderschulen werden weiterhin relativ stark nachgefragt sein – auch hier gibt es einen Schülerzuwachs von 20 Prozent. Das heißt: der Anteil der SchülerInnen mit Förderbedarf, die auf eine Regelschule gehen, wird sich nicht unbedingt weiter erhöhen. Die Idee von der inklusiven Schule, die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) vorangetrieben hatte, scheint an ihre Grenzen zu kommen.
Schulbau
Der Grund für die Schülerprognose sind eine steigende Geburtenrate – 2014 wurden in Berlin laut Statistischem Bundesamt mit 37.000 so viele Kinder geboren wie zuletzt 1990 – und mehr ZuzüglerInnen. Die Flüchtlingszahlen spielen für die Schülerprognose indes keine Rolle.
An der Fichtelgebirgsgrundschule im Kreuzberger Wrangelkiez gibt es Protest: Die Schule ist übernachgefragt, im nächsten Schuljahr wird die Obergrenze von 26 SchülerInnen in den Eingangsklassen erreicht. Zu viel, finden die Eltern und protestieren um 17 Uhr vor der Schule, in der am Mittwoch auch der Schulausschuss tagt. (akl)
Mit Blick auf die Schülerprognose – noch vor der angespannten Bewerberlage bei Lehrkräften und ErzieherInnen – ist der Schulbau eindeutig das drängendste Problem. Jeweils 270 Millionen Euro sind im Doppelhaushalt 2016/17 pro Jahr für Sanierung und Neubau eingeplant. Doch alleine der Sanierungsbedarf geht wohl in die Milliarden – aktuelle Zahlen sollen von den Bezirken bis zum Ende der Sommerferien erhoben werden.
Ein Thema, mit dem man sich also als Opposition bestens profilieren kann. Sowohl Grüne als auch Linke basteln denn auch derzeit an einem „Modellkonzept Schulbau“. Vorbild für beide: Hamburg, wo man den Sanierungsstau in den Griff bekam, indem man einen Landesbetrieb Schulbau mit regionalen „Untereinheiten“ gründete. Doch während die Grünen zwei Milliarden Euro aus dem Landeshaushalt zapfen wollen, wollen die Linken die Schulbauten aus dem Vermögen der Bezirke heraus in einen Landesbetrieb verschieben und Neubau und Sanierung dann über ein Kreditsystem finanzieren. Verfassungsrechtlich könnte die Entmachtung der Bezirke zwar problematisch sein – „aber dann muss man eben eine Mehrheit für eine Änderung finden“, sagt die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Regina Kittler.
Die Chancen dafür stehen, mit Blick auf die Wahlen im September, gar nicht schlecht, weiß auch Kittler: „Rot-Rot-Grün steht zumindest als rechnerische Option im Raum, und allzu weit liegen wir beim Thema Schulbau mit den Grünen ja nicht auseinander.“
Inklusion
Inklusion ist ein Kernthema von Senatorin Scheeres: Etwa 60 Prozent aller Berliner SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden inzwischen an Regelschulen unterrichtet, das ist bundesweit Spitze. Leider dürften es in den nächsten Jahren nicht viel mehr werden: Denn auch an den Förderschulen wachsen die Schülerzahlen um 20 Prozent. „Das müsste eigentlich weniger sein“, sagt die Abgeordnete Kittler.
Zwar hat der Senat kürzlich die Einrichtung von sechs inklusiven Schwerpunktschulen beschlossen, und in den nächsten sechs Jahren sollen jeweils sechs dazukommen. „Aber das ist zu wenig, wie wir jetzt ja deutlich sehen“, sagt Kittler. „Letztlich schreibt der Senat, das zeigen die Zahlen, den Anteil der SonderschülerInnen fest.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Nach Ausschluss von der ILGA World
Ein sicherer Raum weniger
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung