Kräuter des Mittelalters: Im Schatten der Paläste
Pastinaken, Zuckerwurzel, Meerkohl oder der Chenopode bon Henri – ein Garten im französischen Uzès führt zu vergessenen Nutzpflanzen.
In Uzès ist das Mittelalter gegenwärtig wie kaum irgendwo. Mächtige Paläste und die dazugehörenden Türme dominieren die historische Altstadt, die auf einem Hügel über der Eurequelle erbaut wurde. Nicht allzu leicht zu finden in den blitzblank geputzten Gassen ist ein kleines orangefarbenes Schild: „Jardin Médiéval“, mittelalterlicher Garten.
Es weist in ein schmales Tor, durch das nur Fußgänger schlüpfen können. Dahinter führt eine ansteigende, von hohen Mauern begrenzte Gasse zu einem weiteren, halb verschlossenen Tor. Fast zögert man – da oben soll sich ein öffentlicher Garten verbergen? Und was für einer! Oben angekommen ist man sofort gefangen vom Zauber des Ortes. An einem Schattenpflanzenbeet vorbei geht es zu einem hölzernen und dicht mit wildem Wein bewachsenen Kiosk, wo man eine Infobroschüre seiner Landessprache mit durchnummeriertem Plan in die Hand gedrückt bekommt.
Doch erst muss man innehalten. An den unglaublich hohen Bauwerken hochschauen, die den Garten fast rundherum umgeben. Die Stille genießen, die es zulässt, dass man nichts als Vögel zwitschern, Zikaden schmettern und Brunnen plätschern hört, übertönt allenfalls von seinen eigenen Schritten im Kies.
Zu erst das Herbularius
Wohltuend auch der Schatten, der hier von morgens bis abends von einer der alten Steinmauern fällt und angenehme Kühle spendet. Der Plan beginnt mit dem „Herbularius“, dem Kräutergarten. Mächtige Rosmarinbüsche, Lavendel, Salbei, Kümmel, Safran, Meerrettich – alles Pflanzen, die bereits in der mittelalterlichen südfranzösischen Küche zu einer leichteren Verdauung und selbstverständlich auch als Würze der Speisen eingesetzt wurden, woran sich nichts geändert hat.
An einem mit Wasserpflanzen bestückten und einer großen Wandkeramik verzierten Brunnen vorbei geht es zur Tour du Roi, dem Königsturm, erbaut im 11. und 12. Jahrhundert, und den sich daneben befindenden Palasträumen, wo wechselnde Ausstellungen moderner Kunst gezeigt werden.
Jardin Médiéval: Impasse Port Royal, 30700 Uzès, Frankreich, Tel.: 0033 4 66 22 38 21 1. April bis 01. November jeweils inklusive, täglich von 14 bis 18 Uhr, an den Wochenenden und an Feiertagen und Juli/August auch von 10.30 bis 12.30 Uhr Eintritt: 4 ?, ermäßigt 2
Längs ehemaliger Klosterzellen führt ein kleiner Gang in einen weiteren Hof, der von einer Kapelle, dem Bischofsturm und weiteren ehemals klerikalen Bauten umfasst wird. Hier ist der „Hortus“ angelegt, der Gemüsegarten.
Mannshohe Artischocken locken mit ihren violetten Blüten die Bienen an. Darunter, was früher zum ganz normalen Speiseplan gehörte, heute aber weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Pastinaken, Zuckerwurzel, Meerkohl oder der Chenopode bon Henri, womit ein wilder Spinat bezeichnet wird.
Eine Weinlaube trennt vom nächsten Bereich. Unter den medizinischen Pflanzen finden sich Malve, Beinwell und Arnika, zur magischen Sammlung gehören Alraune, Bilsenkraut und Stechapfel. Das Pflücken oder Naschen verbietet sich ohnehin von selbst. Aber rote Punkte signalisieren vorsichtshalber noch mal, dass die jeweiligen Blumen oder Kräuter giftig sind.
Pflanzen der Liebe und der Religon
Eine wichtige Rolle in diesem botanischen Kleinod spielen Rosen und Lilien, die einen als Symbol der Liebe, die anderen der Religion. Man findet sie an den Mauern und im Garten verstreut. Kleine, gefüllte weiße Kletterrosen leisten sogar den mit Trauben behangenen Reben auf dem Laubengestänge Gesellschaft. Mitten im Bischofshof ist ein Nutzpflanzenbeet mit kleinen Wasserläufen angelegt. Hier findet sich das zu den Nelkengewächsen gehörende Seifenkraut, dessen schäumende und damit reinigende Wirkung im Mittelalter zum Beispiel zum Waschen der Schafwolle sehr geschätzt wurde. Gleich daneben Pflanzen, die man, bevor es chemische Farben gab, zum Einfärben von Stoffen verwendet hat und heute teilweise wiederentdeckt, etwa das Pastell für Blau, das Krapprot oder Reseda für gelbe Töne.
Wieder zurück im schmalen Durchlass geht es noch in zwei Zellen, die von hier aus zu betreten sind. Wandtafeln erläutern die für Uzès traditionelle Lakritzherstellung – und selbstverständlich die Réglisse, auf Deutsch das Süßholz, das in der Gegend gedeiht und die Basis der Lakritzleckereien darstellt.
Im schattigen Hof unter dem Königsturm kommt man zu einem Getreidefeld en miniature mit einigen Weizenähren, Dinkel, Hafer – uralte Sorten. Auch Sarrazin ist dabei, Buchweizen, der keine Getreideart, sondern ein Knöterichgewächs ist. Unverzichtbar für einen Garten des Mittelalters – auf den Äckern der modernen Landwirtschaft nicht mehr auszumachen – die blaue Kornblume; der knallrote Klatschmohn, die violette Kuhschelle oder die rosafarbene Kornrade.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Anschläge auf „Programm-Schänke“
Unter Druck
Jeff Bezos und die Pressefreiheit
Für eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitungen!