heute in Bremen: „Rhetorik von Verfall“
DISKUSSION Der Historiker Volker Weiß erörtert Sinn und Grenzen des Begriffs „Islamfaschismus“
43, ist Historiker aus Hamburg und schreibt unter anderem für die Zeit und Jungle World.
taz: Herr Weiß, was bedeutet „Islamfaschismus“?
Volker Weiß: Das hängt wesentlich davon ab, wer ihn verwendet. Es gibt die rechtspopulistische Variante, etwa von Michael Stürzenberger, der den Koran ahistorisch mit „Mein Kampf“ vergleicht. Der Begriff ist aber auch als Warnung vor der Gefahr einer religiösen Diktatur zu verstehen. Als im Zuge der Belagerung von Kobane das Wort von Linken und Kurden verwendet wurde, fand ich das interessant und bin dem nachgegangen.
Gibt es weitere Parallelen?
Grundsätzlich sehe ich einige Momente, die wir aus der Nationalismusforschung kennen, auch bei den Islamisten erfüllt. Angefangen von den „vorgestellten Gemeinschaften“ über die Feindbestimmungen und die Rhetorik von Verfall, Verrat und Wiedergeburt. Auch der universalistische Anspruch des Islamismus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele seiner Konfliktlinien entlang nationaler und ethnischer Grenzen laufen. Zudem erinnert mich die Stellung zur westlichen Moderne und zur Aufklärung stark an die Argumentation der Faschisten im Europa zwischen den Kriegen.
Droht bei der Gleichsetzung von Islamismus und Faschismus nicht der Verlust von Trennschärfe?
Diese Frage stellt sich bei jeder Anwendung des Begriffs außerhalb seiner historischen Bezüge – und selbst da kann die Forschung noch herrlich streiten. Aber: Bei allen Unterschieden im Detail kann man konstatieren, dass es sich in beiden Fällen um einen durch die Moderne gebrochenen und radikalisierten Konservatismus handelt. Interessanterweise kommt der antisemitisch bestimmten Figur des Juden dabei jeweils eine sehr ähnliche Position zu: als eine Personifikation der westlichen Moderne.
Interview: Benjamin Moldenhauer
19 Uhr, Galerie K’
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