: Sozialistische Sternenreise
Vortrag Die Vertrauenskasse und die utopische Dimension von „Star Trek“. Ein Abend bei den NaturFreunden in Wilmersdorf
Es geschieht ja gar nicht selten, dass Intellektuelle (oder solche, die sich dafür halten) ihre Lieblingsfernsehserie in den Adelsstand hieven, indem sie deren Relevanz betonen: mit Philosophie, Psychologie oder Politik. Im Falle von „Raumschiff Enterprise“, 1966–1969, kann man diese Nobilitierung sicher etwas ernster nehmen: Bürgerrechtler Martin Luther King überredete die farbige Schauspielerin Nichelle Nichols alias Lieutenant Uhura dazu, nach der ersten Staffel nicht aus der Serie auszusteigen: „Aber verstehen Sie denn nicht“, fragte Dr. King damals Nichols, „dass wir hier zum ersten Mal so gezeigt werden, wie wir gesehen werden sollten?“
Eine multikulturelle Crew auf einem Sternenschiff im 23. Jahrhundert – das war während des Kalten Krieges allemal ein starkes Statement. Aber taugt die Serie auch zur sozialistischen Utopie? Ist die Mauer vielleicht sogar, wie der 27-jährige Historiker David X. Noack in der Einladung zu seinem Vortrag provokant fragt, im „Star Trek“-Universum „in die andere Richtung gefallen“? Bei Facebook hatten vorab über 300 Leute Interesse am Thema bekundet – ein Glück, dass doch nur gut 40 am heißen Frühlingsabend kommen, denn viel mehr fasst der Raum des politischen Freizeitverbandes NaturFreunde in Wilmersdorf nicht.
Auf einem Tisch liegen Unterschriften gegen TTIP und für den Fahrrad-Volksentscheid. Das Publikum hat sich weder in Vulkanier- noch in Klingonen-Kostüme geworfen. Alles ganz bodenständig. Getränke stehen halbsozialistisch bereit: nicht gratis, aber per Vertrauenskasse.
Linke Credibility
David X. Noack, Doktorand an der Uni Mannheim und Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, outet sich vorab: Er sei ja Militärhistoriker, kein Kulturwissenschaftler, aber eben einfach ein Trekkie. Die Sternenzauber-Freude steht ihm im Gesicht geschrieben, wenn er Clips aus den Serien und den Kinofilmen abspielt.
Nachdem Noack in Kürze die linke Credibility von Cast und Crew der Originalserie sichert, indem er benennt, wie sich quasi alle sozialistisch oder ökologisch engagierten, folgt seine plausible These: Serienerfinder und Anti-Vietnamkriegs-Aktivist Gene Roddenberry habe aus dem Erfolg der Serie „Twilight Zone“ (1959–1964) gelernt, dass politische Science-Fiction im US-Fernsehen möglich sei, wenn die Gesellschaftskritik nur nicht zu offensichtlich rüberkomme. Roddenberry wies seine Drehbuchautoren deshalb schriftlich an: „Lasst uns nicht in die Details darüber gehen, welches sozioökonomische System sich durchgesetzt hat.“
Trotzdem ist ja gar nicht zu übersehen: Das Geldwesen ist bei „Star Trek“ zumindest in der Planeten-Föderation abgeschafft. „Marxistisch-leninistisches Bedürfnisprinzip“, so Noack. Das sorgt immer wieder für aberwitzige Momente, wenn die Crews per Zeitreise dann doch mal im 20. Jahrhundert landen und nicht drauf kommen, was das sein soll: Geld. Und bei den turbokapitalistischen Ferengi-Aliens kommt in einer Folge des Serien-Ablegers „Deep Space Nine“ (1993–1999) die Idee einer Gewerkschaft auf – inspiriert durch Marx-Lektüre.
Uhura bestellt Budweiser
Noack bedauert die Depolitisierung der „Star Trek“-Folgen in den 1990er Jahren. Sein Groll gilt aber vor allem den beiden neuesten „Star Trek“-Kinofilmen von J. J. Abrams, der die kapitalismuskritische oder überhaupt politische Dimension von „Star Trek“ zugunsten von Action opfere. Tatsächlich klingelt in Abrams Filmen ein Nokia-Handy und Lieutenant Uhura bestellt ein Budweiser-Bier. Prost!
Bei den NaturFreunden in Wilmersdorf wird derweil beim Vertrauenskassen-Bier noch darüber diskutiert, ob sich „Star Trek“ eines Tricks bediene: dass es quasi unendliche Ressourcen gebe, Lebensmittel einfach aus der Replikator-Maschine gezaubert werden und deshalb Verteilungsgerechtigkeit nicht direkt zum Thema werde.
Es liegen wohl noch ein paar Lichtjahre zwischen der Vertrauenskasse und gar keiner Kasse mehr. Noack übrigens redet am 27. Juni am gleichen Ort noch mal. Sein Thema dann: „Star Trek“ und Konfliktlösung.
Stefan Hochgesand
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