: Verstehen Sie Mitte?Eine Ortserkundung
GEOSERVICE Alle wollen in die politische Mitte.Jetzt sogar die Grünen. Hallo Mitte? Wo bist du?
Also wo liegt sie denn nun, die politische Mitte?
Tja. CDU und CSU behaupten seit jeher, sie sprächen für die Mitte. „Mitte“, „bürgerliche Mitte“, gern auch „die Mitte der Gesellschaft“. Solche Floskeln fehlen auf keinem Parteitag. Merkel, mittigste Kanzlerin der Welt, kommt mit ihrer unprätentiösen Art auch in rot-grünen Milieus an und räubert Themen, die früher SPD oder Grüne bespielten. Aber auch SPD-Chef Sigmar Gabriel kümmert sich um die Mitte, nämlich um die „arbeitende Mitte“. Für den Grünen Kretschmann wiederum ist die Mitte überall da, wo „aktive Bürger“ sind, und die sind bekanntlich fast überall. Alles klar?
Nein. Das klingt doch total schwammig.
Hm, na ja, gut. Also okay. Die Mitte mag als politisches Konzept erst mal sinnstiftend klingen, weil kein Wähler ein Quartalsirrer sein will, der Extrempositionen gut findet. Aber was die Mitte ist, ist eine Definitionsfrage. Der, der in die Mitte will, sagt auch, wo sie ist – sehr bequem. Und der Begriff kleistert zu, dass es bei jeder Entscheidung Begünstigte und Benachteiligte gibt. Die Mitte sei auf der Landkarte des Politischen „ein nahezu gänzlich weißer Fleck“, schreibt der Politologe Kurt Lenk. „Wegen seiner Inhaltslosigkeit dient er leicht als Projektionsfläche für wirklichkeitsferne Harmoniebedürfnisse.“ Damit taz-LeserInnen sich das gut vorstellen können, hat die taz-Grafik das mal visuell umgesetzt.
Aber durch solche Begriffe verschwimmen doch Unterschiede?
Selbstverständlich. Kretschmann zum Beispiel möchte in Wirklichkeit konservativere Grüne. In der Steuerpolitik schützt er konsequent die Interessen reicher Menschen – was auch die CDU und die FDP tun. Auf der klassischen Politikskala rückt er die Ökopartei also etwas nach rechts. Aber da klingt „Mitte“ natürlich hübscher.
Ulrich Schulte
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