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Die neue Beinfreiheit

RADSPORT Der Niederländer Steven Kruijswijk hängtdie großen Favoriten des Giro d’Italia ab,weil er aus Fehlern gelernt hat und nach einer Operation wiedervoll in beide Pedale treten kann

Greift nun zur Begeisterung der Radsportfans auch am Berg an: Steven Kruijswijk Foto: ap

ALPE DI SIUSI taz | Kruijswijk – wer ist denn das? Dies fragte sich mancher Giro-Beobachter bereits im vergangenen Jahr. Da war der Lotto-Jumbo-Profi einfach nicht abzuschütteln in den Bergen, obwohl sich die Herren Contador, Aru und Landa – die besten drei – alle Mühe gaben. Aber Steven Kruijswijk hielt stand, war der Vierte im Bunde bei den Kletterpartien durch Alpen und Dolomiten. Der Niederländer war nur deshalb nicht für Schlagzeilen gut, weil er sich bereits in der ersten Wochen einen Rückstand von mehr als acht Minuten eingefangen hatte. Bei einer Teilung des Pelotons war er nicht aufmerksam genug.

Daraus hat er gelernt. „Dieses Jahr habe ich diesen Fehler nicht gemacht“, sagte er am Samstag, als er sich erstmals das rosa Trikot bei diesem Giro überstreifte. Noch etwas machte er anders. Fuhr er 2015 meist nur mit, wenn es in den finalen Anstieg ging, so lancierte er am Samstag sogar die entscheidende Attacke. „Ich konnte Nibalis Angriff ganz gut parieren und dachte mir dann: Versuch’s doch mal selbst.“ Er ließ sich nicht einmal vom Veto aus dem Begleitfahrzeug abhalten.

Der sportlichen Leitung war der Zeitpunkt, etwa 25 km vor dem Ziel in Corvara, zu früh. Kruijswijk vertraute auf seine Beine – und hatte am Ende recht. Etappenplatz 2 und Führung im Klassement. Die großen Favoriten Alejandro Valverde und Vincenzo Nibali sind nach dem Dolomitenwochenende abgehängt und müssen in den Alpen schon sehr Außergewöhnliches leisten, um von den Plätzen vier und drei wieder ganz nach vorn zu kommen.

Dass Kruijswijk bei der Königsetappe seinen Beinen vertrauen konnte, hat auch mit einer Operation vor zwei Jahren zu tun. „Eines seiner Beine hatte eine Durchblutungsstörung durch eine verengte Arterie. Es ermüdete immer schneller als das andere. Dieses Problem wurde dann operativ behoben“, erzählt einer von Kruijswijks Masseuren. Jetzt spürt er unter seinen Händen keinen Temperaturunterschied zwischen den beiden Extremitäten mehr. Kruijs­wijk fährt wieder auf zwei Zylindern, nicht anderthalb, wie vor der Operation.

Dass er ausgerechnet beim Giro so auftrumpft, hat neben der schwächeren Konkurrenz – Christopher Froome, Nairo Quintana und Alberto Contador sind alle nicht dabei – auch mit einer besonderen Liebe zu diesem Rennen und daraus gewachsener Erfahrung zu tun. „Ich mag dieses Rennen, die Atmosphäre hier. Es herrscht auch nicht so viel Druck wie bei der Tour“, sagt Kruijswijk. Zum sechsten Mal nimmt er schon am Rennen teil; bei der Tour war er dreimal (beste Platzierung 15.), bei der Vuelta steht eine einzige Teilnahme zu Buche. Zum Giro kam er als Neu-Profi. Drei Tage vor dem Giro-Start 2010 wurde er plötzlich ins Aufgebot berufen. Teamleader Oscar Freire musste verletzungsbedingt passen. Für Kruijs­wijk, damals 22 Jahre jung, sprach auch die kurze Anreise. Der Debütant belegte gleich einen 18. Platz. Mehr als eine halbe Stunde hinter dem gerade von einer Dopingsperre zurückgekehrten Sieger Ivan Basso. Ein ehrenhaftes Ergebnis also im doppelten Sinne.

Er ließ sich nicht vom Veto aus dem Begleitfahrzeug abhalten

Kruijswijk kam in den Umbruchzeiten zum damaligen Rennstall Rabobank. 2007, als nach Aussagen von Michael Rasmussen die gesamte Rabobank-Tourtruppe gedopt war, heuerte er bei der Nachwuchsabteilung an. Bei der umfassenden Dopinguntersuchung des niederländischen Radsportverbandes im Jahre 2012 tauchte sein Name nie auf; im Gegensatz zu manchen anderen Profis wurde er auch nicht aussortiert, sondern war ein wichtiges Element beim Relaunch des Nachfolgerennstalls. Spätestens nach dieser Rundfahrt wird niemand mehr fragen, wer denn dieser Kruijswijk ist. Tom Mustroph

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