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FOLK Welch Persönlichkeit, welch Stimme: Ein Porträt der neuseeländischen Songwriterin Aldous HardingDie Wandelbare

„Ich hatte keine Ahnung, dass ich mich beim Singen so stark fühlen kann“: Aldous Harding Foto: Woo Me! Records

von Dirk Schneider

Kann es sein, dass Aldous Harding nicht weiß, was das Gegenteil von Hoffnung ist? Unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist es, dass die 25-jährige Neuseeländerin sich gerne lustig macht über Leute, die sie zu ernst nehmen. Ihre musikalische Welt ist voller Tod und Trauer. Als sie in einem Berliner Club ihren Hit „Stop Your Tears“ ankündigt und einige Zuschauer begeistert reagieren, lacht sie auf – amüsiert, nicht bitter – und fragt, wie man so einen Song bitteschön mit Euphorie begrüßen könne.

Humor hat die Frau. Ihr selbstbetiteltes Debütalbum, das 2014 erschienen ist und jetzt zum Glück erneut aufgelegt wurde, sei vor allem von einer schweren Angststörung geprägt, erzählt Aldous, die auf den Namen Hanna getauft wurde, im Interview. Um an anderer Stelle zu fragen, was noch gleich das Gegenteil von Hoffnung sei. Wie wär’s mit: Verzweiflung?

Die Lieder, die Aldous Harding auf ihrer Gitarre spielt, nur gelegentlich von Klavier und einem Chor begleitet, sind von einer tiefen, klaren, seltsamerweise gar nicht schweren Traurigkeit.

Im Fluss

Ihre Texte sind poetisch und düster, sie erzählen vom Teufel, der gelbe Rosen als Einladung schickt. Die Jungfrau Maria hängt an der Wand, und hinter allem lauert der Tod, der wie ein Erlöser erscheint. Schließlich geht es immer wieder um Wasser, das mal als Symbol fürs Leben, mal für den Tod herhält. „Someone has stolen all the water“ heißt es in „Stop Your Tears“, in den Credits ihres Albums dankt sie ihrem Produzenten Ben Edwards sowie Mitmusiker und Freund Marlon Williams „for giving back the water“. Doch in mehreren Songs bringt das Wasser Tod durch Ertrinken.

Tatsächlich haben auch Hardings Lieder etwas Fließendes in ihrem Ablauf, das sie so eingängig und so berührend macht – sie sind nicht aus einem Guss, eher aus einem: Fluss. Wahrscheinlich zehren sie von etwas, das bei Harding ins Fließen geraten ist, als sie vor gar nicht so langer Zeit begonnen hat, sie zu komponieren, auch, um der Angst zu entkommen. „Hunter“, sagt sie, sei ihr allererstes Stück gewesen, das sie mit 20 Jahren geschrieben habe – es besteht nur aus wenigen Zeilen, die sich wiederholen. In dem Album ist es aufgepeppt mit Duettgesang, Schellenkranz, Geige und zweiter Gitarre. Es ist eines der hoffnungsvolleren unter den neun Stücken.

Freunde hätten sie ermutigt, ein Album aufzunehmen, und erst als sie mit 23 Jahren das Debütalbum in den Händen hielt, habe sie angefangen, sich als Künstlerin zu begreifen. Sie habe sich lange gegen die Idee gesträubt, Musikerin zu werden, da sie davon nicht leben könne. Zwar kommt Harding aus einer Musikerfamilie, darüber sprechen wolle sie aber nicht, so die Tourmanagerin vor dem Interview. Da gebe es nichts zu erzählen. Nach dem Interview wird die Tourmanagerin sagen, man habe Hanna an einem wirklich guten Tag erwischt.

Aldous Harding hat schulterlange, dunkelblonde Haare, ein symmetrisches, angenehmes Gesicht – dem man die Wandlungen, das es beim Singen durchmacht, erst mal kaum zutrauen würde. Vor allem wenn Harding mit ihrer tiefen Stimme singt, graben sich tiefe Falten zwischen ihre Augen, zieht sie ihre Mundwinkel weit nach unten, dass das Gesicht fast zu einer Fratze wird. „Ich werde oft nach dem Ausdruck meiner Stimme gefragt. Als ich dieses Album aufgenommen habe, habe ich mich völlig abseits dieser Welt gefühlt. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was los ist.“ Auch deshalb habe sie auf etwas künstliche Art gesungen. „Wenn man ein ängstlicher Mensch ist, fühlt es sich gut an, sich hinter etwas verstecken zu können. Die Leute verlangen, dass man authentisch ist und sich nackt zeigt, ohne dass sie einen kennen. Warum sollte ich das machen?“

Über Ängste und Zweifel kann Aldous Harding ziemlich frei reden, ansonsten bekommt man wenig Antworten von ihr, auch wenn das Gespräch in freundlicher Atmosphäre verläuft. So wenig wie sie zu wissen scheint, wie gut ihre Lieder sind („Ich bin schon froh, wenn die Leute meine Musik hören und nicht denken: ‚Oh Mann, die arme Sau!‘“), so scheint ihr auch nicht klar zu sein, dass in dem, was sie als Maske betrachtet, der große Reiz ihrer Kunst liegt.

Ohne Vollbart

Authentizitätsbehauptungen haben melancholischer Musik mit Akustikgitarre selten gutgetan, und wahrscheinlich hat Aldous trotz ihres männlichen Alias kein Problem damit, dass sie keinen Vollbart ins Rennen schicken kann. Bedeutung schimmert in ihren Texten nur als Ahnung auf, wie ein Duft nach Weihrauch, feuchtem Keller und frischer Erde – das bewahrt diese Musik vor Pathos und Klebrigkeit, auch wenn sie mit ihrem gut aussehenden und sympathischen Geliebten Marlon Williams ins Duett einstimmt. Letzterer gehört ebenfalls zu den interessanteren Newcomern aus Neuseeland, er hat erst kürzlich sein Solo­debüt veröffentlicht.

Aldous Harding hätte vielleicht sogar das Zeug zu einer Figur wie PJ Harvey. Ihr nächstes Album wird sie diesen Sommer im Übrigen mit deren Produzent John Parish aufnehmen. Der wird es zu verstehen wissen, Hardings Selbstvertrauen aufzubauen, das gewachsen ist, wie sie selbst zugibt: „Ich habe gelernt, wie Edith Piaf zu singen. Ich hatte keine Ahnung, dass ich mich beim Singen so stark fühlen kann. Ich war ja diese sanfte Folksängerin, und das bin ich ja irgendwie immer noch. Aber man kann hören, dass ich stärker geworden bin.“ Den Titel ihres neuen Albums verrät sie schon: „Party“ soll es heißen. Den Titelsong gibt sie bei ihrem Berliner Konzert auch zum Besten – wieder keine Partymucke.

Als Zugabe gibt es dann aber nicht, wie sonst gerne, ein Cover von Edith Piaf, sondern von Kate Bush: „Wuthering Heights“. In derselben Tonhöhe wie das Original. Als Hanna Aldous Harding von der Bühne geht, wirkt sie erschöpft und stolz.

Aldous Harding: „Aldous Harding“ (Woo Me!/Indigo)

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