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Nervender PromiIm Zweifel gegen das Theater

Das Bremer Kriminaltheater inszeniert Ferdinand von Schirachs Stück „Terror“ mit dem nuschelnden Ex-Bürgermeister Henning Scherf

Nicht jeder der professionell lügt ist gleich ein Schauspieler: Henning Scherf nervt als Gaststar Foto: Carmen Jaspersen (dpa)

BREMEN taz | „Guten Tach“, nuschelt Bremens Ex-Bürgermeister, Ex-Justizsenator und aktueller Bestsellerautor zum Thema Altern. Henning Scherf, Jahrgang 1938, spielt als Zweimetermann den großen Vorsitzenden des Gerichtsdramas „Terror“. Der Bühnenhit feierte bereits in 19 Städten Premiere, die letzte Klappe der Verfilmung fiel ebenfalls schon.

Scherf ist wie der Autor Ferdinand von Schirach selbst Jurist, hat aber auch Erfahrungen auf der Anklagebank gesammelt: Bremens Staatsanwaltschaft stellte 2014 das Verfahren gegen ihn wegen uneidlicher Falschaussage gegen Zahlung von 5.000 Euro an wohltätige Zwecke vorläufig ein. Nun ist der Sozialdemokrat der Besetzungscoup der großen PR-Inszenierung zum Umzug des Bremer Kriminaltheaters.

Dank Gentrifizierung des Szeneviertels Steintor muss die bisherige Spielstätte – ein schlichter Flachdachbau, der einst auch Möbellager, Reifenhandel, Tanzstudio war – schnieken Wohnneubauten weichen, sodass ab Sommer im neuen Domizil auf dem wiederbelebten Areal der Union-Brauerei gemordet wird.

„Terror“ ist nun stadträumlich genau zwischen ehemaliger und zukünftiger Kriminaltheater-Spielstätte zu sehen, nämlich im gediegen prachtvollen Ambiente des bremischen Weltkulturerbes, der oberen Rathaushalle. Seit 600 Jahren ist sie Zentrum des Politikergeredes und Etikette-steifer Festivitäten in der Hansestadt. Einst war sie aber auch Ort der Rechtssprechung.

Hab-Acht-Kunst-Appell

Als Plaudertasche mit Touristenführerambitionen weist Scherf in einem Prolog auf die über dem geschnitzten Ratsherrengestühl baumelnde Gerichtsglocke hin. Und auf Bartholomäus Bruyns viele Quadratmeter große, 1532 geschaffene Darstellung des Salomonischen Urteils. Hab-Acht-Kunst ist es, appelliert an menschenfreundliche Justiz.

Links neben dem Gemälde stapeln sich Bibelworte, rechts Zitate aus der römischen Rechtstradition. Eine Cicero zugeschriebene Passage bietet Scherf in seiner volkstümlichen Übersetzung dar: „Bedenkt, wenn ihr hier als Richter Recht sprecht, dass ihr eure Urteile auch dann akzeptiert, wenn ihr die Partei seid, die verloren hat.“ Genau das will auch Schirach seinem Publikum einimpfen und übersetzte in „Terror“ den Cicero so: „Mit den Rechten des Menschen ist es wie mit der Freundschaft, sie taugt nichts, wenn sie sich nicht auch und gerade in den dunklen, in den schwierigen Tagen bewährt.“

Spitzfindigkeiten-Spielplatz

Vor der Rathaustür grölen derweil Jugendliche im Partymodus, Spaziergänger lassen ihre Köter bellend die Halleffekte des Marktplatzes ausloten, glockenläutend bringen Kirchen sich in Erinnerung, auch fiese Schienenschleifgeräusche der Straßenbahn dringen in den Verhandlungssaal, wo die Zuschauer in ihre Rolle als Schöffen und damit in das Paralleluniversum der Juristen eingewiesen werden, diesen intellektuellen Abenteuerspielplatz sprachlicher Spitzfindigkeiten und eitler Wortgefechte, der kaum noch etwas mit der lärmenden Welt da draußen zu tun hat.

Was das Stück verdeutlicht. Geradezu oberlehrerhaft wird mit widerspruchsfrei abgedichteten Zeugenaussagen, Anklage- und Verteidigungsreden auf Paragrafen geritten, Kant zitiert, werden abstrakte Urteile referiert und lebensferne Fallbeispiele konstruiert.

Es geht um Lars Koch, Pilot eines Kampfjets der Bundeswehr. Hat er richtig gehandelt, als er ein von Terroristen gekapertes Passagierflugzeug abschoss, weil dies in ein vollbesetztes Fußballstadion geflogen werden sollte? Darf unschuldiges Leben (164 Menschen an Bord) gegen unschuldiges Leben (70.000 im Stadion) abgewogen werden? Und wie inszeniert man diese drögen Rechtsreferate mit all dem juristischen Vokabular und theoretischen Ballast?

Kaum Spielfluss

Die einen versuchen mit Videozuspielungen oder Einbeziehung des Publikums in die Vernehmung etwas Action zu applizieren, andernorts soll strenge Sachlichkeit ein vorurteilsfreies Nachdenken über die grundsätzlichen Fragestellungen ermöglichen. Bundesweit ebenfalls beliebt: die Wirkungskraft der Sprache mit Mitfühlmomenten zu unterfüttern.

In Bremen gibt es nun die Variante Hörspiel – also eine Art szenischer Lesung. Was nicht nur daran liegt, dass Scherf den Text vielfach abliest – und dabei Artikulationskultur vermissen lässt. Fast alle unterspielen ihre Rollen. Keine Figur kann deutlich machen, eine Erkenntnis-Entwicklung zu durchlaufen. So kommt kaum Spielfluss auf, die Dispute verdichten sich nicht.

Der Anwalt verweigert Schirachs Vorlage, mit nonkonformistischen Gags das Publikum zu becircen, wirkt gelangweilt wie ein Pflichtverteidiger, der gleich den dramatischen Bogen der Eröffnungsrede dramatisch verweigert, erst beim Plädoyer zu spitzbübischer Form aufläuft.

Regisseur Christian Kaiser diskreditiert als Schauspieler den Zeugen Lauterbach: Zackig frisch aus dem Führungsbunker der deutschen Luftwaffe angereist, muss er wie ein Weihnachtsmärchenonkel das Bekennerschreiben der Terroristen vorlesen. Der viel zu alt besetzte Angeklagte ist auch eher ein Biedermann und Stammtisch-Eiferer denn brandstiftender Fanatiker soldatischer Handlungsethik, den Schirach als Beherrschtheitsmonster beschrieben hat.

Und der trutschigen Nebenklägerin fehlen alle pechschwarzen Unter- und hassglühend hilflosen Obertöne einer Frau, deren Mann gerade zur Terrorbekämpfung vom Himmel geschossen wurde. Nur Franziska Mencz weiß auch ein menschliches Wesen zu gestalten, zeigt eine ehrgeizig schnippische Staatsanwältin, die ihre Schlauheit genießerisch als Waffe im Machtspiel der Argumente nutzt, auch wenn ihr Plädoyer etwa arg predigend ausfällt.

In der Pause aber diskutieren alle Besucher über das Stück. Wann geschieht so was schon mal im Theater? Danach geht’s zum Hammelsprung. Wird der Pilot als Massenmörder verurteilt oder als Held freigesprochen? Beide Positionen finden 139 Zustimmer. Unentschieden. Im Zweifel für den Angeklagten: also Freispruch. So wird in fast allen deutschen Theatern entschieden – gegen den Wunsch des Autors.

Theaterkunst als Verlierer

Das Unbehagen gegenüber staatlicher Ohnmacht, so genanntem „Islamischen Staat“, al-Qaida & Co das Terrorhandwerk zu legen, scheint das entscheidende Argument zu sein, die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates hintanzustellen. Schirach fordert hingegen mit seiner der Staatsanwältin in den Mund gelegten Argumentation, dass die Werte der freien Welt und die Erfindung der Menschenwürde unbedingt gelten müssten und jede moralische Einstellung gegenüber dem Grundgesetz und Verfassungsgerichtsurteilen nachrangig sei.

Dazu lässt sich prima Benjamin Franklin zitieren: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“ In Bremen waren die Freunde vitaler Theaterkunst die Verlierer.

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1 Kommentar

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  • Schade eigentlich. Endlich mal Raum für eine eingehendere Analyse - und dann doch nur eine Ausgabe des Volkshochschulseminars „Theaterverrisse leicht gemacht“... Dass man ein Stück nicht mag und grundsätzlich verweigert, sich auf die Sache einzulassen, dass man darüber hinaus persönlich etwas gegen Henning Scherf hat, hätte sich auf weniger Zeilen mitteilen lassen.

     

    Das hätte den Autor dann auch der misslichen Lage enthoben, Gegenargumente aus Kontexten entlehnen zu müssen, die dem eigentlichen Gegenstand fremd sind. Mit Erwartungshaltungen an eine Gerichtsverhandlung, die eher an „Barbara Salesch“ und „Alexander Holt“ orientiert sind, werden hier Maßstäbe errichtet, die dem Text wie dem Bühnengeschehen gleichermaßen unangemessen sind. So wird die RTLisierung geradezu eingeklagt.

     

    Von Theaterfiguren eine „Erkenntnis-Entwicklung“ zu erwarten, mag in der Tradition des klassischen Dramas angehen, ist angesichts einer Gerichtsverhandlung aber ziemlich widersinnig. Der Täter, aus dem es vor Gericht plötzlich herausbricht „Oh Gott, was hab ich da nur getan!“ - ist wohl auch eher den Zurichtungen gerichtlicher Realität entnommen, wie sie das Privatfernsehen bereithält, als dieser Realität selbst.

     

    Man kann ja mit einiger Berechtigung darüber streiten, ob „Terror“ ein spannendes Stück ist, ob es überhaupt verdient, ein Stück genannt zu werden. Ich zum Beispiel, in meiner Eigenschaft als Regisseur, habe mich gegen dieses Stück entschieden, weil einerseits alles in mir sich gegen seine rigide Gerichtsoberfläche wehrt und darauf drängt, sie auf die eine oder andere Weise aufzubrechen, auszuhebeln, weil ich aber andererseits die verbindliche juristische Verkehrsform für den konstitutiven Faktor des Stücks halte. Mit anderen Worten: jeder Versuch, zu theatralisieren, ja auch nur zu psychologisieren, zu emotionalisieren, scheint mir dem Charakter des „Stücks“ zuwiderzulaufen.