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Vollendeter Absprung

UMSTIEG Primož Roglič war ein hoffnungsvoller Skispringer. Weil das Knie zwickte und andere besser waren, wechselte er aufs Rennrad. Beim Giro d’Italia verblüfft er die Szene

Windschnittig wie in seiner besten Zeit als Skispringer: Primož Roglič Foto: dpa

aus Campi Bisenzio Tom Mustroph

Vor ein paar Jahren segelte Pri­mož Roglič noch von Schanzen herunter. Er galt als Talent in Slowenien, holte als Junior Titel. Als ihm aber klar wurde, kein neuer Primož Ulaga oder Primož Peterka zu werden, sattelte er um. Auf Radsport. Und versetzt hier mit einer Variation von „kam, sah und siegte“ alle Welt in Erstaunen. „Nein, das hätte ich nicht erwartet“, sagt Zeitfahrspezialist Tom Dumoulin, wenn man ihn auf die klitzekleine Hundertstelsekunde anspricht, die beim Prolog in Apeldoorn für ihn den Ausschlag gab und Roglič auf Platz 2 verwies.

„Ich kannte ihn kaum. Er fährt ja noch nicht so lange Rad. Aber das war sehr stark“, meinte der Niederländer. Als Roglič dann beim langen Zeitfahren durch die Weinberge von Chianti sogar den Sieg holte, war Dumoulin schon gar nicht mehr verblüfft. Eine Extraleistung bleibt dies trotzdem. Denn Roglič holte bei seinem allerersten Zeitfahren über eine Distanz von 40 Kilometern, das er in seiner Karriere bestritt, gleich den ersten Sieg. „Vorher habe ich nur eines über 10 km absolviert“, meinte er. Genau, das war der Prolog in Apeldoorn.

Manche trainieren über Jahre – und fahren doch ewig an einem Sieg bei Giro, Vuelta oder Tour vorbei. Roglič aber schnallt die Ski ab, steigt aufs Rad und ist gleich vorn. An dem 26-Jährigen verblüffte auch, wie locker er seinen Erfolg anging. Nichts war da zu spüren von der fast manischen Vorbereitung, die manche Zeitfahrspezialisten betreiben. „Ich habe es wie immer gemacht“, meinte er. „Wir sind den Parcours mit dem Auto abgefahren. Ich habe mir die wichtigsten Stellen gemerkt und dann ging das Rennen auch schon los.“ Nicht mal mit dem Rad ist er über die Strecke gefahren.

Kurz vor dem Start musste er sein Rad auch noch austauschen, weil den Kontrolleuren der UCI ein Fehler aufgefallen war. Dem Newcomer machte dies alles nichts aus. Nicht einmal, dass sein Bordcomputer nach etwa 10 Kilometern verloren ging und er keine Orientierung mehr über seine Wattzahlen, seine Herz- und seine Trittfrequenz hatte. Roglič scherte sich nicht darum, dass er eine ganze Subwissenschaft über den Haufen warf – und gewann.

Jetzt suchen auch gestandene Radprofis nach Erklärungen, also jene, die sich viele Jahre auf dem Rad gequält haben, es in den Profibereich schafften und dort nicht jeden Tag siegreich sind. „Also, wenn das einer aus dem Amateurbereich gewesen wäre, der so gewinnt, dann wäre das schon bitter. Man darf aber nicht vergessen, dass Roglič als Skispringer aus dem Hochleistungssport kommt. Da bringt er schon eine gute Basis mit“, meint etwa Giant-Profi Nikias Arndt.

Geläufig waren solche Disziplinwechsel allerdings eher zwischen Radsportlern und Eisschnelläufern wegen der ähnlichen Belastung. Vom Skispringen zum Radfahren ist es doch ein weiterer Weg. Nicht allerdings für Roglič. Wenn er erzählt, wie es zum Wechsel kam, wirkt alles ganz logisch. „Als ich mit 21 Jahren sah, dass ich im Skispringen nicht da war, wo ich sein wollte, habe ich aufgehört. Ich hatte auch etwas Knieprobleme. Dann habe ich mir ein Rennrad gekauft. Jetzt bin ich hier“, sagte er. Gut, fünf, sechs Jahre Radtraining lagen noch vor dem Erfolg beim Giro.

Der nächste verblüffende Umstand allerdings ist, das Rog­lič zuvor als Bergfahrer auf sich aufmerksam machte. Er gewann in den letzten beiden Jahren Bergetappen im Kaukasus und im Himalaja. Der ehemalige Skispringer ist im Radsport also ein Kletterer, der auch Zeitfahren gewinnen kann. Tour-Sieger Chris Froome darf sich warm anziehen in Zukunft – oder das Nummer-1-Team Sky gleich ein paar Geldbündel in die Hand nehmen und den Umsteiger engagieren.

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