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Kritik am Informationsfluss

NSU Die Polizei lässt einen Göttinger Verein wissen, dass er auf einer Liste potenzieller Neonazi-Anschlagsopfer stand – allerdings erst nach einem Jahr

Man habe den Verein zu erreichen versucht, sagt die Polizeisprecherin – ohne Erfolg

Markierte Stadtpläne und lange Adresslisten: Auch in Niedersachen hat der rechtsextreme Nationalsozialistische Untergrund (NSU) Informationen über ausgemachte Feinde gesammelt. Dass in den Überresten der Zwickauer Wohnung des NSU-Trios ein USB-Stick mit insgesamt 10.000 Namen gefunden wurde, ist seit Ende November 2011 bekannt. Betroffene aus Göttingen informierte die Polizei aber erst jetzt, am 20. Dezember 2012: den Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur e. V.

Am vergangenen Donnerstag erreichte den Verein eine E-Mail der Polizei, auch suchten zwei Beamte den Vorstand auf. „Seriöse und transparente Aufklärung hätten wir uns anders vorgestellt“, sagt Vereinssprecher Johannes Roth. „Wir hätten zumindest nach dem großen öffentlichen Aufsehen im November 2011 sehr viel mit der Information anfangen können, dass wir uns auf einer der Listen der NSU befunden haben.“

In der Kritik steht die Polizei wegen ihrer Informationspolitik nicht erst jetzt: Schon im November 2011 befragten Beamte drei örtliche CDU-Politiker, die ebenso auf der Zwickauer Liste stehen. Auch die sollen erst jetzt den Hintergrund erfahren haben.

Man habe damals auch den Verein zu erreichen versucht, sagt Polizeisprecherin Hilke Vollmer – ohne Erfolg. Für Roth nicht nachvollziehbar: Das Büro sei eine Bürogemeinschaft, irgendwer sei tagsüber immer da. Er nennt es „fatal, wenn die Polizei den Eindruck vermittelt, wir wären an der ausgebliebenen Information wegen unserer angeblichen schlechten Erreichbarkeit selbst schuld“. Es liege in „der Verantwortung der Polizei, Gefährdete von Nazigewalt“ zu informieren, sagt der Vereinssprecher. Von einer konkreten Bedrohung geht die Polizei allerdings gar nicht aus: Eine Gefahrenlage habe nicht bestanden, sagt Vollmer. „Wir würden uns wünschen, dass die Polizei erläutert, wie sie zu ihrer Einschätzung kommt“, kontert Roth.

Mangelnde Aufklärung über mögliche NSU-Verbindungen in Niedersachsen warfen dem Innenministerium bereits SPD, Grüne und Die Linke im Landtag vor. Im November 2012 antwortete Innenminister Uwe Schünemann (CDU) auf eine mündliche Anfrage der Linken über weitere Erkenntnisse zum NSU: „Die Untersuchungen sind abgeschlossen. Der dazu vom Verfassungsschutz und Landeskriminalamt als Verschlusssache GEHEIM klassifizierte Bericht liegt mir vor.“  ANDREAS SPEIT

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