Tobias Schulze über den Nato-Russland-Gipfel: Das Versagen der Feuerwehr
Stellen Sie sich das mal vor: Die Männer und Frauen eines Dorfs gründen eine Freiwillige Feuerwehr, um ihre Häuser zu schützen. Alle zwei Wochen treffen sie sich, um den Ernstfall zu proben. Danach stoßen sie im Floriansstübchen an. Wenn es aber wirklich brennt, bleiben die Feuerwehrleute daheim, weil sie einander vorwerfen, die Brandschutzordnung zu missachten.
Ähnlich funktioniert auch der Nato-Russland-Rat: Er wurde nach dem Kalten Krieg gegründet, um gegenseitiges Misstrauen abzubauen. Jahrelang treffen sie sich regelmäßig, reden über gemeinsame Belange und führen Manöver durch. Sobald aber ein Krieg ausbricht, der auf den Rest des Kontinents übergreifen könnte, steht eine Seite aus Protest auf und geht – im Ukraine-Krieg wie zuvor schon im Georgien- und im Kosovo-Krieg.
Dass das Gremium jetzt wieder tagt, mag ein Zeichen der Entspannung sein. Es deutet aber nichts darauf hin, dass sich die Beteiligten im nächsten Konflikt konstruktiver verhalten. Dafür müssten die Nato und Russland den Rat reformieren. Erst wenn das Gremium den Akteuren einen ausreichend großen Mehrwert bietet, werden sie auch in brenzligen Situation dabeibleiben.
Der größtmögliche Anreiz wäre ein gegenseitiges Vetorecht: Russland könnte damit verhindern, dass die Nato zusätzliche Truppen im Baltikum stationiert. Umgekehrt dürften Nato-Staaten Widerspruch einlegen, wenn der Kreml die Streitkräfte an der Westgrenze aufstocken will. Dieses Recht würde keiner der Beteiligten so ohne Weiteres aufs Spiel setzen wollen, wenn die andere Seite einen militärischen Konflikt, wie etwa in der Ukraine, anzettelt.
Dass so ein Vetorecht kommt, ist angesichts der momentanen Konfrontation natürlich illusorisch. Moskau und die Nato-Staaten sollten aber darüber nachdenken, wie sie das Gremium stattdessen aufwerten können. Ansonsten ist ihr gemeinsamer Rat früher oder später am Ende.
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