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Endlich keine Hoffnung mehr

MUSIK Isolation Berlin treffen mit ihrem Postpunk-Liedermacher-Ansatz einen Nerv, der neben den Feuilletons vor allem das Konzertpublikum begeistert. Gerade starten sie eine Tour durch Deutschland und Österreich

Angst vor Pathos haben Isolation Berlin ganz offenkundig nicht

von Stephanie Grimm

Der Legende nach lernte Tobias Bamborschke, Sänger und Textschreiber von Isolation Berlin, Max Bauer, seinen Bruder im Geiste, just an dem Tag kennen, an dem er sein bisheriges Leben (die Freundin, das Schauspielstudium) in die Tonne getreten hatte. An jenem Tag also, als er, den Namen seiner künftigen Band vorwegnehmend, sich von allem isoliert hatte. Eine Katharsisgeschichte, wie sie im Buche steht – mit ziemlich positivem Ausgang.

Logisch, dass Bauer später Gitarrist der Band wurde, die die beiden dann gründen sollten. Erst einmal wurde er jedoch Bam­borsch­kes bester Freund und Mitbewohner. Die beiden vertrieben sich die Zeit mit den Dingen, die Slacker mit Anfang zwanzig eben so machen: Musik hören, Filme gucken, einen Echoraum suchen für ihre Wut und all die Zumutungen. Irgendwie mit dem Weltschmerz umgehen.

Offenbar kultivierten die beiden im Zuge dessen ein gehöriges Maß an Nostalgie gegenüber einer Zeit, in der Die-Dinge-scheiße-finden noch mehrheitsfähiger war, als das in unseren optimierungsverliebten Gegenwart der Fall ist. Und in der es, zumindest in dieser Stadt, noch mietshausgroße Nischen gab, in denen sich recht komfortabel leben ließ, auch wenn man nicht mitmachen wollte bei dem ganzen Unsinn da draußen.

Von der Historisierung solcher Lebensentwürfe leben mitt­ler­weile etliche Autoren und Filmemacher ganz gut, wie unter anderem der Erfolg des semidokumentarischen „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979–1989“ illustriert oder auch Publikationen wie „Subkultur Westberlin“ von Wolfgang Müller, das den gleichen Zeitraum abdeckt.

Wo aber verbindet sich das Lebensgefühl verschiedener Vergangenheiten mit der Lebens­wirklichkeit von heute? Vielleicht liefert eine Band wie Isolation Berlin, die Antihaltungen nicht nur zitiert, sondern sie sich angeeignet hat, darauf tatsächlich eine Antwort. Bei Songs mit Titeln wie „Alles grau“, „Fahr weg“ oder „Herz aus Stein“ fühlt man sich fast zwangsläufig mal an Rio Reiser oder Element of Crime erinnert, dann wieder an Ideal oder Joy Divison. Und zumindest in Sachen künstlerischer Haltung auch an die Libertines. Die stellten im Popbetrieb ja so etwas wie den letzten breitenwirksamen Versuch dar, mit dem romantisierten Leiden des Künstlers zu punkten.

Und doch reflektieren die Songs von Isolation Berlin auch die Gegenwart. „Produkt“ setzt die Erkenntnis voraus, dass man als Popkünstler automatisch zum Produkt wird, egal wie man sich zur Industrie positioniert. Das haben manche ihrer musikalischen Vorbilder sicher noch anders gesehen.

Im Frühjahr des letzten Jahres erschien mit „Körper“ eine sehr wütende erste EP . Ein Jahr später dann ließen Isolation Berlin auf ihrem toll betitelten Debütalbum: „Aus den Wolken tropft die Zeit“ mehr Zwischentöne zu. Angst vor Pathos haben sie dabei ganz offenkundig nicht. Das alte Material veröffentlichten sie übrigens zeitgleich unter dem koketten Titel „Berliner Schule/ Protopop“ wieder. Scheinbar können Isolation Berlin bei aller Schwermut auch ein biss­chen Selbstironie.

Neben Tobias Bamborschke und Max Bauer gehören inzwischen auch Simeon Cöster (Schlagzeug) und David Specht (Bass) zur Band. Und so halb auch der junge Künstler Yannick Riemer. Der hat durch seine Videos und die Plattencover die Bandästhetik entscheidend mitgeprägt.

Spätestens seit der Doppel-Veröffentlichung im vergangenen Februar überschlägt sich nun die Kritik in den Feuilletons: auf Spiegel Online etwa war die Rede von „großer, sehnsuchtsvoller, trauriger und wütender Gefühlsmusik, die sich jedem Trend entzieht“.

Was Letzteres angeht – nun ja. Isolation Berlin treffen mit ihrem Postpunk-Liedermacher-Ansatz immerhin einen ähnlichen Nerv wie einige deutschsprachige Bands zurzeit: Die Nerven aus Stuttgart oder auch Wanda aus Wien sind nur zwei von zahlreichen Cousins. Vielleicht werden bei dieser Band nicht zuletzt deshalb so viele Kritikeraugen feucht, weil der in die Jahre gekommene Kulturarbeiter von jungen Menschen, die sich prima zu inszenieren wissen, noch einmal ihre Jugend vorgeführt bekommen – oder eben das, was der Kultur­arbeiter sich rückblickend gern als seine Jugend abheften würde.

Doch der Erfolg der Band findet nicht nur im Feuilleton statt, wie sich bei ihren intensiven Konzerten erleben lässt, etwa vergangenen Spätsommer beim Pop-Kultur Festival.

In Berliner Zusammenhängen freut man sich über ihren sentimental-aggressiven Gegen­entwurf zum Partyhedonismus, mit dem sich die Stadt popkulturell vermarktet. Und offensichtlich gibt es gerade bei den jüngeren Fans dieses Postpunk-Revivals eine durchaus reale Sehnsucht nach Alternativen zum Diktat der Selbstoptimierung, das das Private längst durchdrungen hat.

„Ich nehm’ die nächste U-Bahn und fahr’ zum Bahnhof Zoo / Dort nehm’ ich mir’nen Strick und häng’ mich auf im Damenklo“. Bamborschke zollt seinen Helden (hier spielt er auf Nina Hagen an) gern Tribut, bedient sich munter aus seinem Fundus schlecht gelaunter Musik.

Übrigens, so liest man, möchte er lieber Dichter als Song­writer genannt werden. Dass sich einer noch traut, so etwas zu fordern, ist fast schon wieder cool! Trotzdem singt er: „Manchmal frag’ ich mich, bin ich Poet / Oder einfach nur besoffen“.

Junge, lass dir nix einreden, will man ihm da zurufen. Denn genau das wollen sie doch, die hässlichen Makler der Selbst­opti­mierung: Zweifel daran streuen, dass man etwas wirklich kann, nur weil man es sich selbst beigebracht hat.

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