Mutterland des Eishockeys in der Krise: No Canada!
In der NHL beginnen die Playoffs – und das ohne kanadische Beteiligung. Das ist ein nationales Desaster. Das Land macht sich Sorgen.
Steven Stamkos hatte es tatsächlich gewagt: Der kanadische Eishockeyspieler aus Toronto war in der Heimat im Urlaub, er besuchte ein Baseballspiel der heimischen Toronto Blue Jays gegen die Tampa Bay Rays – und Stamkos trug: eine Kappe der Rays! Eishockeyfans in Kanada waren erschüttert. Das Homecoming von NHL-Superstar Stamkos, der kurz zuvor seine Tampa Bay Lightning ins Stanley-Cup-Finale geführt hatte, war schließlich eine nationale Angelegenheit.
Er sollte ein kanadisches Team – und seien es auch nur die verhassten Toronto Maple Leafs – wieder zum Titel in der nordamerikanischen Eishockeyliga führen. So wie einst Wayne Gretzky die Edmonton Oilers mit vier Stanley-Cup-Siegen zu dem Team der 80er Jahre machte. Und dann trägt Stamkos diese Kappe! Ein Bekenntnis zu seiner Wahlheimat Tampa!
Ein knappes Jahr später hätten die Kanadier gern solche Sorgen wie damals. Doch ihr Problem ist gerade größer, viel größer: Wenn an diesem Mittwoch die Playoffs beginnen, wird kein einziges kanadisches Team dabei sein.
In der Runde der letzten 16 spielen dann unter anderem ein Team aus Texas, eins aus Tennessee, zwei aus Florida und drei aus Kalifornien um den Titel. Diese Klubs aus Orten, wo nie Schnee fällt; die man in Kanada jahrelang belächelt hat ob ihrer halbvollen Ränge und schlechten Stimmung, die spielen nun um den Stanley Cup – und kein kanadisches Team steht ihnen dabei im Weg. Das gab es zuletzt vor 46 Jahren.
Keine plötzliche Krise
Nun machen sich alle in Kanada Sorgen: die Pub-Besitzer um ihre Umsätze, die Sender um ihre Quoten, die Fans um ihr Spiel.
Wie konnte es so weit kommen? Erklärungsansätze gibt es viele. Schließlich kommt die Krise nicht plötzlich. Seit 1993 (Montreal Canadiens) hat kein kanadisches Eishockeyteam mehr den Stanley Cup gewonnen. In den 23 Jahren, die zwischen damals und heute liegen, erreichte nur fünf Mal ein kanadisches Team die Endspiele.
Doch so schlimm wie in diesem Jahr endete es nie: Vier der sechs schlechtesten Teams kommen aus Kanada. Alle sieben kanadischen NHL-Teams sind unter den zehn Letztplatzierten. Die National Post hat eine Serie zur Misere gestartet. Titel: „No Canada – Wie wir unser Spiel verloren haben“. Die häufigsten Erklärungen: der schwache kanadische Dollar, die Perspektivlosigkeit der Spieler, der hohe Druck.
Ungesunde Erwartungshaltung
In einer Liga, in der in US-Dollar abgerechnet wird, müssen die Teams nördlich der Grenze halt immer etwas drauflegen für die begehrtesten Spieler. Zudem weiß nun jeder, dass er mit den dortigen Teams nicht um den Titel spielen wird. Jeden Sommer sind kanadische Eishockey-Superstars auf dem Markt, jedes Mal wird spekuliert, ob sie nicht zurückkehren – und fast jedes Mal entscheiden sie sich dann doch für ein US-Team.
Es wäre überraschend, wenn es in diesem Sommer bei Stamkos anders liefe. Und – so behauptet es der kanadische Nationaltorwart Roberto Luongo – es herrsche in Kanada eine andere, vielleicht ungesundere Erwartungshaltung als in den USA. In Kanada konzentriert sich nun einmal alles auf Hockey. In den Staaten gibt es noch Baseball und Football und Basketball.
Luongo spielt für die Florida Panthers, eines dieser Plastikteams, die in Kanada verachtet werden. Erst 1993 gegründet, gehen die Panthers in Sunrise, irgendwo im Nirgendwo des Rentnerstaats Florida, aufs Eis. Ihre Halle ist das Anhängsel eines riesigen Einkaufszentrums. Dieses Jahr gewannen die Panthers ihre Division. Und sie sind noch einen Makel losgeworden: Die Panthers sind nicht mehr das einzige Team, das zehn Mal in Folge nicht in die Playoffs kam. Dieser Rekord wurde eingestellt: von den Edmonton Oilers. Aus Kanada.
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