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Cousins und Cousinen

KINO Das Festival „Alfilm“ präsentiert eine Woche lang die lebendige Filmkultur der arabischen Länder in Berlin

Tamer El Saids Film „In the Last Days of the City“ porträtiert Kairo im Winter vor dem Sturz Mubaraks Foto: Alfilm

von Fabian Tietke

Die Hände tief in den Taschen des Overalls, entspannt auf den Gummistiefeln wippend, dirigiert Yusuf seine Kollegen mit der Antenne. Ein Blick in den Raum zeigt, dass Yusuf mitten in einem Schlachthaus steht. An den Wänden hängen Rinderhälften und einige Kollegen ziehen an der Winde eine frisch geschlachtete Kuh in die Höhe. Als das Fußballspiel, dem die Bemühungen mit der Antenne galten, wenig später läuft, haben sich Yusuf und einige Kollegen vor dem Fernseher versammelt. Mitten im Spiel ziehen drei, sechs, schließlich zehn Männer einen Bullen über den Flur zum Schlachten. Das Schlachthaus in Hassen Ferhanis „Roundabout in My Head“ ist nicht nur Arbeitsplatz, sondern sozialer Bezugspunkt für unzählige Männer und ihre Geschichten, aus denen sich eine Momentaufnahme des Alltags in Algerien zusammenfügt.

Trotz des Settings ist Ferhanis Film ein geradezu versöhnliches Bild dieses Alltags, verglichen mit der Darstellung in Merzak Allouaches aktuellem Film „The Rooftops“, der an einem Tag auf den Dächern Algiers einen Blick in gesellschaftliche Abgründe wirft. Auch im mittlerweile siebten Jahr kann Alfilm, das arabische Filmfestival in Berlin, aus dem Vollen schöpfen, schon weil die deutsche Verleihlandschaft das arabische Kino auch nach Jahren voller Festivalerfolge noch nicht recht für sich entdeckt hat. Immerhin: mit dem Caligari-Preis für Tamer El Saids driftendes Porträt Kairos aus dem Winter vor dem Sturz Mubaraks „In the Last Days of the City“ ist auch eine Tour des Films durch die deutschen Kinos im nächsten Jahr verbunden. Dennoch ist das Festival auch in diesem Jahr wieder eine Gelegenheit, eine lebendige und zunehmend ästhetisch avancierte Filmkultur wahrzunehmen, die in den 358 Tagen jenseits von Alfilm in den Berliner Kinos weitgehend unsichtbar bleibt.

Der experimentelle Langfilm „The Gate of Departure“ des ägyptischen Regisseurs Karim Hanafy beginnt mit einem Jungen, der in Feiertagskleidung neben seiner Großmutter über einen Friedhof läuft. Hanafys Film verlässt sich ganz auf in surrealen Farben gehaltene Bilder, die assoziativ durch Erinnerungen und Reflexionen über Vergänglichkeit und Verlust gleiten. Nabil Ayouches neuster Film „Much Loved“ kreist um eine Gruppe junger Frauen, die in Marrakech als Sexarbeiterinnen ihr Geld an saudischen und europäischen Touristen verdienen. Der Film lebt von dem Kontrast zwischen der Solidarität unter den Frauen und der Verlogenheit der feindlichen Außenwelt. Unter den Gegenwartsstoffen des Festivalprogramms sticht das Langfilmdebuts Naji Abu Nowars hervor: Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs erzählt „Theeb“ die Geschichte eines jungen Beduinen in einer Mischung aus Western, Kriegs- und Coming-of-Age-Film.

„Theeb“ ist in eine Mischung aus Western, Kriegs- und Coming-of-Age-Film

Neben dem offiziellen Programm gibt es auch wieder ein Sonderprogramm. Es widmet sich in diesem Jahr dem Thema „Cousins/Cousinen – Jüdisch-arabische Identitäten im postkolonialen kulturellen Diskurs“. Unter diesem etwas arg akademisch anmutenden Titel sind Filme aus fast vier Jahrzehnten vereint: So etwa Youssef Chahines Film „Alexandria ...Why?“, einer autobiografisch-utopischen Reise in das jüdisch-muslimische Miteinander in Alexandria am Ende des Zweiten Weltkriegs. Oder der Eröffnungsfilm – Kathy Wazanas „They Were Promised the Sea“, einer Entdeckungsreise in das jüdisch-christlich-muslimischen Zusammenleben zur Zeit des muslimischen Andalusiens. Der Schweizer Dokumentarfilmer Samir sucht nach Spuren der jüdischen Mitglieder der kommunistischen Partei des Iraks in „Forget Baghdad“, und sein israelischer Kollege Avi Mograbi begibt sich in „Once IEntered a Garden“ seinerseits auf die Suche nach den arabischen Wurzeln seiner eigenen Familie.

Eine der interessantesten Entdeckungen ist jedoch der Kompilationsfilm „The Gulf War ... What Next?“ von 1993 zu dem Borhane Alaouie (Libanon), Nouri Bouzid (Tunesien), Mustapha Darkaoui (Marokko), Nejia Ben Mabrouk (Tunesien), Elia Suleiman (Palästina) kurze Filme beitrugen. Diese Arbeiten versuchen eine neue Perspektive auf den zweiten Golfkrieg (1990–1991) zu finden. Auch wenn im Falle des Films „Research of Shaima“ von Neija Ben Mabrouk die Polemik etwas zu brachial daherkommt – der Perspektivwechsel zu einem Ereignis, von dem wenn überhaupt nur mehr die westlichen Medienbilder bekannt sind, ist durchaus interessant.

Alfilm – Arabisches Filmfestival Berlin: 6.–13. 4., im Kino Arsenal, fsk, City Kino Wedding und Theater im Aufbau-Haus, Programm: www.alfilm.de

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