Schlechtes Urteil für Bürgerbegehren: Richter bremsen Zeise-Gegner
Das Verwaltungsgericht stellt Eilverfahren gegen die Bebauung des Zeise-Parkplatzes in Ottensen ein. Das könnte Bürgerbegehren künftig erschweren.
Hier entsteht derzeit auf 13.000 Quadratmetern Grundfläche ein neues Arbeitsquartier für 850 Mitarbeiter des weltgrößten Werbekonzerns WPP, zu dem auch die Erfolgs-Agentur Scholz + Friends gehört. 41 früher geplante Wohnungen auf dem Gelände hatten die Investoren kurzerhand gestrichen.
Die Initiative Pro Wohnen Ottensen hatte im Herbst vergangenen Jahres den Baustopp beantragt, damit nicht während eines von ihr initiierten Bürgerbegehrens Fakten geschaffen würden. Um genau das zu verhindern, sieht der Gesetzgeber bis zum Abschluss eines Bürgerbegehrens eine Sperrfrist vor, in der alle Aktivitäten zu ruhen haben.
Doch während des laufenden Bürgerbegehrens hatte das Bezirksamt am 8. Mai 2015 den Investoren Procom und Quantum die Baugenehmigung für deren Bürokonzept erteilt, welches das Bürgerbegehren – an dieser Stelle nur Wohnungen entstehen zu lassen – komplett aushebelt. Das aber sieht das Verwaltungsgericht komplett anders.
8. Mai 2015: Trotz des laufenden Bürgerbegehrens erteilt der Bezirk die Genehmigung für einen Bürokomplex auf dem Zeise-Parkplatz, weil er „rechtlich dazu verpflichtet“ sei.
28. September: Die Ini stellt Eilantrag auf Baustopp der Büros.
30. September: 75 Prozent-Mehrheit beim Bürgerbegehren für Ausweisung des Geländes als Wohngebiet.
30. November: Die zuständige Senatskommission kassiert das Bürgerbegehren.
Der von der Initiative angestrebten Änderung des Bebauungsplans Ottensen 49 stehe es nicht entgegen, „wenn zuvor Baugenehmigungen erteilt werden, die mit dem angestrebten Inhalt des geänderten Bebauungsplans nicht übereinstimmen“, heißt es in dem Beschluss, der nicht anfechtbar ist.
Im Klartext: Auch ein Gelände, auf dem schon Büroklötze stehen, könne man immer noch als Wohngebiet ausweisen. Das sei dann zwar faktisch nicht mehr umsetzbar, doch dass die Initiative nicht nur eine formale Ausweisung, sondern auch die praktische Entstehung eines Wohngebiets wolle, habe sie im Bürgerentscheids-Text nicht ausdrücklich erwähnt, befanden die Richter.
„Mit diesem Beschluss ist die Rechtssicherheit für alle Hamburger Bürgerbegehren dahin, sie stehen jetzt quasi ohne Rechte dar“, bewertet Initiativensprecher Matthias Müller-Hennig den „sehr formal argumentierenden“ Gerichtsentscheid. Eine Veränderungssperre, die verhindere, dass jedes Bürgerbegehren durch das Schaffen gegenläufiger Fakten ausgehebelt wird, sei damit faktisch abgeschafft.
Im Bezirksamt hingegen redet man hinter vorgehaltener Hand „vom bestmöglichen Urteil“, durch das die eigene Position gestärkt werde. Beide Parteien hatten zuvor die Einstellung des Verfahrens beantragt, da die Senatskommission für Wohnungsbau das erfolgreich abgeschlossene Bürgerbegehren im November 2015 kassiert hatte. Die Gerichtsbegründung aber bedeutet eine schallende Ohrfeige für die Initiative und die Volksdemokratie auf Bezirksebene.
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