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Eine kleine Krachmusik

Beim Motörhead-Konzert in der ausverkauften Columbiahalle war die Stimmung aggressiv, das Bier floss in Strömen, und Lemmy rockte wie immer: Für echte Fans ein schöner Abend. Noch lang nach dem Konzert hallten die „Motörhead!“-Rufe nach

Von ANDREAS HARTMANN

Motörhead sind mal wieder auf Tour. Für deutsche Qualitätszeitungen war das jüngst Anlass genug, flächendeckend devote Huldigungen an diese Band und deren Kopf, den unverwüstlichen Lemmy Kilmister – Hobby: Kampftrinken – zu verfassen. Motörhead gelten nun als auch vom Kulturbetrieb anerkannte echte Verkörperung des Rock ’n’ Roll und Lemmy, der kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag steht, als letztes Urgestein des Heavy Metal. Die Band, die bekanntermaßen seit beinahe dreißig Jahren denselben Stiefel runterrockt, sich nach einem amerikanischen Slangwort für „Speedfreak“ benannt hat und von einem fanatischen Sammler von Nazimemorabilien angeführt wird, hat damit ihren Zenit erreicht.

Vom Redakteursstuhl aus lässt sich bequem sinnieren, wie erregend so ein Motörhead-Konzert sein muss: wie ein reinigendes Gewitter, das noch in den Ohren nachklingt, wenn man längst wieder vor dem Schreibtisch hocken muss. Dieser wahrhaftige Stumpfsinn, der ohrenbetäubende Lärm und vorne der Typ mit den Schönheitswarzen, der vor dem Mikrofonständer klebt – einfach herrlich.

Live, vor Ort, auf dem Schlachtfeld sozusagen, sieht das alles ganz anders aus. Die Stimmung war aggressiv. So ähnlich muss die Atmosphäre auch in der Hooligan-Fankurve vom FC Liverpool nach einem verlorenen Spiel im Abstiegskampf sein. Oder auf einem Bikertreffen, auf dem plötzlich das Bier alle ist. Es war jedenfalls ziemlich unangenehm in der ausverkauften Columbiahalle, und für Motörhead-Fans schien es eine ausgemachte Sache zu sein, dass man, falls man hier nicht bereits sternhagelvoll angekommen sein sollte, die Halle wenigstens schwankend zu verlassen hätte.

Ein Motörhead-Konzert zieht gealterte Rocker an, die sich plötzlich wieder daran erinnern, dass sie mal ganz harte Burschen waren. Ein Rocker neben mir war permanent damit beschäftigt, jeden, der ihn aus Versehen mit seinem Literbecher in der Hand antorkelte, unsanft wegzustoßen; und ich hatte Angst, der andere Typ neben mir, der mit Gleichgewichtsproblemen zu kämpfen hatte, würde in mich hineinfallen.

Motörhead sind für ihre Fans eine Art Religion. Selbst wenn sonst nichts mehr geht, sinnlose „Motörhead!“-Begeisterungsrufe sind immer drin. Und so wie man sonntags vor der Kirche in den besten Anzug schlüpft, gewandet man sich zu Hause vor dem Großereignis in T-Shirt, Leder- oder Jeansjacke, die möglichst mehrfach mit dem Namen der Band oder wenigstens mit dem Aufdruck „Hells Angels Germany“ versehen ist.

Der Auftritt von Motörhead selbst überraschte alle. Lemmy und Band spielten zuerst einen neuen Song, der ungewohnt komplex klang, und danach kam eine Ballade. Das war jetzt natürlich gelogen. Motörhead machten es wie immer, und jede Nummer klang wie die andere, also ebenfalls so wie immer. An dieser Stelle wollen Sie, liebe Leser, bestimmt wissen, wie Ihr Autor denn überhaupt zu dieser Band steht, ob er denn wenigstens nostalgische Gefühle für sie habe, weil er zu „Ace of Spades“ das erste Mal Luftgitarre vor dem Spiegel gespielt hat. Nein, ich war zwar früher Metaller, aber Motörhead waren mir schon immer zu simpel gestrickt. Ich stand auf Accept, die konnten sogar „Eine kleine Nachtmusik“ von Mozart nachspielen. Dennoch bin ich ein Bewunderer von Lemmy, und mich verbindet mit ihm, dass er einmal im selben Flugzeug saß wie ich, obwohl alle, denen ich das erzählt habe, behaupten, jeder zweite Rocker sehe aus wie Lemmy.

Irgendwann gab es ein Schlagzeugsolo, war ja klar. Das war natürlich schlimm, so wie überhaupt alle Schlagzeugsolos. Aber mit dieser Meinung war ich alleine. Der Rocker an sich rastet bei einem Schlagzeugsolo komplett aus, da funktioniert er wie ein Pawlow’scher Hund. Die Verbrüderungsszenen im Publikum wurden derweil immer rührender. Am Ende der Zugaben spielten Motörhead „Born to Lose“, einen ihrer größten Hits – dass das so sein würde, darauf hätte man auch seinen Monatslohn verwetten können. Nach dem Konzert erklangen immer noch vereinzelte „Motörhead!“-Kampfrufe, und es herrschte große Glückseligkeit. Ich glaube, ich bin einfach noch zu jung, um das alles verstehen zu können.

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