: Tatsachen und Märchen über Berlin
Eine Lügentour durch die Bundeshauptstadt. Teilnehmer, die gerne Rätsel lösen, sind hier richtig. Auflösung garantiert. Nebenbei erfährt der Besucher trotz aller Verwirrung vieles über Geschichte und Stadtentwicklung
Christa Saffrahn lügt aus beruflichen Gründen, und das an fast jedem Wochenende. „Lügentour“ heißt ihre Stadterkundung, die die Politologin seit 2003 in Kreuzberg, Mitte und Neukölln anbietet. Auf der rund zweistündigen Tour durch die jeweiligen Stadtviertel werden Wahrheit, Mythen und Legenden so geschickt miteinander verwoben, dass kaum einer der Teilnehmer mehr überblicken kann, was wahr ist und was nicht.
Die Teilnehmer bezahlen gerne für diese Verwirrung, denn sie reizt das Rätselraten. Wie die TV-Kinderlieblingsfigur Käpt’n Blaubär stapft die 42-jährige Politologin mit ihrer sechs- bis zwölfköpfigen Teilnehmerschar durch Mitte und erzählt wundersame Geschichten. Etwa, dass der Probst von Bernau im 15. Jahrhundert von der Berliner Bevölkerung im Angesicht der Marienkirche gelyncht wurde, weil er auf mafiöse Methoden Geld eintrieb. Richtig oder falsch? „Könnte sein“, murmelt eine Teilnehmerin aus Leipzig und kreuzt auf ihrem Fragebogen „wahr“ an.
Bei der Frage, ob der Berliner Fernsehturm aus Mauerteilen gebaut wurde als „Wahrzeichen des wiedervereinigten Berlins“, ist man sich allerdings einig. „Ich war ja beim Bau dabei“, brüstet sich einer aus der Gruppe. 1969 ging der Telespargel, wie der Fernsehturm von den Berlinern genannt wird, in Betrieb, da war die Betonmauer noch nicht mal ganz fertig gebaut.
Bei den nächsten Stationen wird es schwieriger. Brauchten die Restauratoren des Roten Rathauses tatsächlich die Fotos der Bevölkerung, um das Fries an der Außenfassade originalgetreu zu rekonstruieren? Tja. Und war der Lustgarten vor der Museumsinsel das ersten Anbaugebiet für Kartoffeln? Auch die Geschichte von den sechstausend Soldaten, die die Staatsoper mit Körperwärme anheizen mussten, wenn Friedrich der Große zu Besuch kam, ist so absurd, dass sie schon wieder im Bereich des Möglichen liegt. Verstohlen schauen die Teilnehmer, was die anderen ankreuzen. „Dass einer alles richtig weiß, ist fast noch nie passiert“, grinst Saffrahn.
In der Regel wird der Gewinn am Ende der zweistündigen Führung aufgeteilt. Ein Müsliriegel.Während die Teilnehmer kauen, gibt es die Auflösungen. Und die sind garantiert nicht gelogen.
CHRISTINE BERGER
www.luegentour.de oder Tel. (01 79) 9 20 44 59, von November bis März nur für Gruppen nach vorheriger Anmeldung, Preis: 8 Euro
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