piwik no script img

Die WahrheitIn der Schweinedisco

Tierisches für kompromisslose Partysäue: Nicht nur im Westen, auch in der Deutschen Demokratischen Republik spielte die Musik.

Wenn der wilden Sau in der Schweinedisco Kulturgelaber geboten wird, nimmt sie schleunigst Reißaus. Foto: dpa
Von Kriki

Mäandert am frühen Morgen im Hadelner Land an der unteren niedersächsischen Elbe ein altes Rad schwankend die Landstraße hinunter, dann ist der dazugehörige Fahrer bestimmt wieder in der berüchtigten Lamstedter Schweinedisco gewesen. Mit schwerer Zunge singt jener Heimkehrer: „Ich wurde hier geboren, zwischen Torf und Grog / zwischen Eigenheim und Minirock / zwischen Schweinedisco, über Dörfer Fahrrad fahren“, wie es im Text von Thees Uhlmann heißt. Der dröselige Torfkopp wird sich höchstens noch daran erinnern, dass der Cola-Korn nur einen Euro kostete, ansonsten weiß er nicht mehr viel. Wenn ihn einer fragen würde, was eigentlich eine Schweinedisco ist, würde er leicht schwankend antworten: „Schweinedisco ist ein Treffpunkt für kompromisslose Partysäue, Alder!“

Mit ganz anderen Partysäuen hatten es seinerzeit die Erfinder der Schweinedisco in der ausklingenden DDR zu tun. Dort kämpften unerschrockene LPG-Mitglieder gegen feindliche Wildschweinrotten, die sich über die Maisfelder hermachten. Zur Abwehr der Schwarzkittel setzten die Produktionsgenossenschaftler einen Lautsprecherwagen ein, der von ihnen „Schweine-Disko“ (mit „k“) genannt wurde. Die angreifende Rotte wurde dabei mit den Klagelauten einer Wildsau beschallt.

„Ein echter Jammer für die futtergierigen Schweine“ nennt das Erika Nowak im Magazin von 1988. Wie erfolgreich das Jammermobil die „futtergierigen Schweine“ vertrieb, ließ sie leider offen. Doch sie berichtet von 44.500 abschussgierigen Jägern in der DDR, die im Jahr 1986 immerhin 132.000 Wildschweine zur Strecke brachten.

Die Schweine-Disko der LPG sollte als Erfolgskonzept im Westen weiterleben. „Wildschweine flüchten vor Radiomusik“, berichtete der Bonner Generalanzeiger 2012. „Bonn und die Wildschweine – eine schwierige Beziehung“, hieß es da. Die Schwarzkittel trieben nachts ihr Unwesen und trampelten das fast reife Korn nieder. Dem stellte sich Lutz Schorn mit seinem mobilen Wildschwein-Vertreibungssystem entgegen: ein Radio mit Dämmerungsschaltung. Welcher Radiosender dabei eingeschaltet wurde? Schorn antwortete diplomatisch: „Eigentlich ist das egal. Wichtig ist, dass bei dem Sender auch viel gesprochen wird. Das stört die Sauen richtig.“

Viele Bonner Landwirte schwören bis zum heutigen Tage auf das Kulturradio zur Verteidigung ihrer Maiskulturen. Den Einsatz des Radios nennt der moderne Schweine-DJ „vergrämen“. Dieser Ausdruck aus der Jägersprache leitet sich von „Gram“ ab, was ursprünglich „Groll“ oder „Sorge“ bedeutete.

Stinkesocken zur Vergrämung

Auf der Website von Wild und Hund werden die besten Methoden der Wildschweinvergrämung diskutiert. Dort empfiehlt man den Einsatz von Billig-Deo, WC-Frisch, Haarlack und Menschenhaaren, die in alte Stinkesocken gefüllt werden. Als akustische Untermalung wird der Klagelaut einer angebleiten, also angeschossenen Wildsau empfohlen. Der professionelle Tierbelästiger weiß, dass er diese Methoden ständig variieren muss, damit sich die Sauen nicht an eine Belästigungsform gewöhnen.

Die Bauern im Osten beschallten Wildschweine mit den Klagelauten von Artgenossen

Gern verwendet der professionelle Schweine-DJ das Mittel „Wildschweinschreck“: Sauen ergreifen die Flucht, wenn aus dem Lautsprecher ein armes Schwein verängstigt „bläst“. Das versichert zumindest der alerte Schweizer Erfinder. Ein Troll aus dem Schweinenetz hält allerdings dagegen: „Akustische Schrecken mit Frischlingsklagelauten helfen nur dem Verkäufer, den Sauen ist es reichlich wurscht.“

Und was macht der professionelle Belästiger nach Feierabend? Da gibt’s nur eins: Er fährt mit dem Fahrrad zur Schweinedisco nach Lamstedt!

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare