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Berlinale, Tag 7: Was bisher geschahZu früh gehen geht gar nicht

Noemi Molitor
Kolumne
von Noemi Molitor

Die ganzen wichtigen Leute, die es keine zehn Minuten in einem Film aushalten – braucht kein Mensch. Aber auch sonst hat man im Kino keine Ruhe.

„Happiness Avenue“: Das große Saalverlassen ging schon nach fünf Minuten los. Foto: Katsuyuki Hirano/Berlinale

D ie Berlinale ist die Zeit, in der ich den „X-Men“ den Rücken kehre und endlich anspruchsvolle Filme schaue. Ich traue mich noch nicht mal, Popcorn zu kaufen. Was ich dabei jedes Jahr aufs Neue vergesse: je ernster das Festival, desto niedriger die Hemmschwelle im Kinosaal. Alle zehn Minuten rennt jemand raus, leuchtet am besten noch Sessel für Sessel mit dem Handy um sich und verlässt mit lautem Türknallen den Film.

Vergangenen Samstag saß ich zum Beispiel im japanischen Punkstreifen „Happiness Avenue“ von Katsuyuki Hirano. Das große Saalverlassen ging schon innerhalb der ersten fünf Minuten los und hörte nicht mehr auf.

Gleicht hier die Aufmerksamkeitsspanne den Internetgewohnheiten? Waren es die vielen Vertigo-Effekte auf dem 8-mm-Film? Kein Herz für trashigen Tunten-Camp? Also rausgehen als Protest?

Ich habe nichts gegen ein involviertes Publikum. Im Gegenteil. Schreit doch die Leinwand an, heult, lacht! Meinetwegen kann die Berlinale gern die neue Rocky Horror Picture Show werden. Oder die ewige Mutter des Punkfilms. Aber dass der stillschweigende Pakt, der besagt, dass das Kollektiv im Saal gemeinsam in eine Welt eintaucht und diese am Leben lässt, gerade auf einem Filmfestival so leicht aufgegeben wird, gibt mir Rätsel auf.

Die Sitzplatzreservierungspolizei

Okay, vor der Berlinale wollte ich noch schnell den nicht mehr so neuen „007“ nachholen. Im kleinsten Saal irgendeines Multiplex-Kinos, in dem er noch lief, wurde ich nicht weniger abgelenkt. Eine Großmutter performte für ihren Enkel im Teenageralter die deutsche Sitzplatzreservierungspolizei, der Typ neben mir wippte zweieinhalb Stunden lang mit dem Bein und trommelte mit den Fingern auf seinem Knie, die Oma und der Enkel erörterten auf ihren rechtmäßigen Plätzen den Plot, drei Mädels in der dritten Reihe quatschten durch und schlürften Pepsi. Hat mich auch genervt. Den Film vorher verlassen hat aber niemand von ihnen.

Vielleicht sind es auch alles Journalist_innen, die auf der Berlinale Filmhopping betreiben. Den Film kurz angesehen, schnell zum nächsten Screening. So prallt der vielleicht notwendigerweise angeeignete schnelle Blick der Erkenntnis, ob ein Film sich zu rezensieren lohnt oder nicht, auf den Kontext Festival, der Filme mit einer Auswahl würdigt.

Waren es die Vertigo-Effekte auf dem 8-mm-Film? Kein Herz für trashigen Tunten-Camp? Rausgehen als Protest?

Das ständige Aufscheuchen der Leute und Vor-der-Leinwand-Hin-und-Her-Tapsen zerstört die cineastische Illusion – und wird irgendwann zum Zeichen von Disrespect. Dass die 5-Minuten-Gucker auf der Grundlage der Kurzsichtung über einen Film schreiben, wäre das Besorgnis erregendere Szenario.

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Noemi Molitor
Redakteur:in
Redakteur:in für Kunst in Berlin im taz.Plan. 2022-2024 Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA und promovierte an der Schnittstelle von Queer-Theorie, abstrakter Malerei und Materialität. Als Künstler:in arbeitet Molitor mit Raum, Malerei und Comic. Texte über zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.
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