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Die WahrheitKalt, Kälter, am Kältesten!

Krieg und Frieden: Endlich gibt es mal eine gute Nachricht – Cold War kann so schön sein. Und das auf der ganzen Welt.

Illustration: Leo Riegel

Begeisterung macht sich breit in weiten Teilen Deutschlands. Russlands Ministerpräsident Medwedew hat vor Kurzem in München den Ausbruch des zweiten Kalten Krieges offiziell bestätigt. Vor allem im Westen der Republik jubiliert man nun. „Wir haben uns die Kultserie ‚Game of Thrones‘ schließlich nicht aus Spaß reingezogen, beziehungsweise ge-binge-watcht“, freut sich der Frankfurter Kulturwissenschaftler Gero Focken, „sondern als zeitdiagnostisches Instrument. Und jenes prophezeit uns schon seit Jahren: Winter is coming – gruselig!“

Dass sich die neue Eiszeit in den internationalen Beziehungen langfristig vertiefen wird, meint auch Anselm Freiherr von Bisping, der in der legendären vierten Staffel von „The Voice of Germany“ mit einer unterkühlten Gospelversion von „White Christmas“ auftrumpfte. Seiner Eingebung zufolge hat der große Gott, der über Himmel und seltene Erden herrscht, in seiner Weisheit beschlossen, die Chronologie zu zertrümmern, die Uhren in unterschiedlichen Geschwindigkeiten rückwärts laufen zu lassen sowie die Temperatur zwischen den Großmächten auf den totalen Nullpunkt zu drücken.

Indizien für die absolut drastische Klima- und Zeitenwende, die die Welt ab sofort und ständig an den Rand und Abgrund des nuklearen Winters führen wird, gab es schon länger. Jüngstes und bestes Beispiel ist die soeben beschlossene Wiedererrichtung der innereuropäischen Grenzen mit begrünten Stacheldrahtzäunen, abwaschbaren Mauern und ausladenden Todesstreifen.

Genauso ins Bild passt die erneute Spaltung Deutschlands. Auf der einen Seite strotzt der autoritäre, vor Gewaltfantasien nur so brodelnde Kleinbürgerstaat, auf der anderen Seite dümpelt ein zombifizierter failed state, in dem bereits der Terror regiert: Ostdeutschland.

„Eine Rückkehr des großen Systemkonflikts zwischen Atlantik und Ural war fällig“, sagt Hollywood-Actrice Gwyneth Paltrow, die wir auf einen Kaffee bei der Berlinale treffen. Paltrow kräuselt ihre frischgezupften Brauen auf jene vielsagende Weise, die in Filmen das Zwinkersmiley ersetzt. Ihr lauwarmer Enthusiasmus ist verständlich: Alle, die bei den entscheidenden Schlachten des Kalten Kriegs dabei waren, schwärmen noch heute von den coolen Umgangsformen und kühlen Klamotten, von den hartgefrorenen Gefühlen und eiskalten Hassausbrüchen jener Zeit.

„Die jungen Weicheier von heute verstehen das nicht mehr“, lacht Paltrow müde und injiziert sich ihre Tagesdosis Rohopium, „aber damals konnte jederzeit ein Atomkrieg losbrechen, die Menschheit hundertmal ausgerottet und der Erdball tausendfach verschmort werden. Ein klitzekleines Missverständnis am roten Telefon, und schon wären die roten Knöpfe gedrückt und unsere jungen heißen Körper atomblitzartig zu radioaktiver Asche zerfallen – living on the edge vom Feinsten!“

Es gibt freilich auch nachdenkliche Stimmen zum Widergänger Kalter Krieg. „In Kaltkanzler Kohl fand diese Epoche ihre Ikone: einen Mann, der sich als weinerlichen Gefühlskloß inszenierte, in Wahrheit aber ein frostklirrender Machtmensch war, der zu seinem eigenen Vergnügen in regelmäßigen Abständen explodierte“, erklärt der Großmufti von Jerusalem, der zurzeit ebenfalls auf der Berlinale weilt und dort ein Drehbuch zum Thema Cold War loswerden will. „Deshalb hat der dicke Oggersheimer Anfang der Achtziger ja auch die berüchtigte soziale Kälte eingeführt, unter der die Genossen der Linkspartei heute noch leiden.«

Wir verlassen die Berlinale und wenden uns den Historikern zu: Der erste Kalte Krieg endete demnach, als die Staaten des Warschauer Paktes Anfang der neunziger Jahre bedingungslos kapitulierten – mit einem Winseln statt mit einem Knall. Reagan, Thatcher und Kohl hatten sie für heiße Fesselspiele mit Hotpants, Hotdogs und Hotwaxing erwärmen können.

Nur wenig später jedoch wurde bereits die Saat zur Wiederaufnahme des Kalten Krieges gelegt. Der Volksverräter Jelzin, dem zu Ehren ein deutscher Billigschundwodka benannt wurde, verschenkte demnach das gesamte russische Volksvermögen zu gleichen Teilen an ehemalige Geheimdienstmitarbeiter und den kompletten Westen.

Danach wurde es zwar warm in Russland, aber nur auf den Orgien der Oligarchen, bei denen zentnerweise Rubelscheine verbrannt wurden, damit die Gattinnen jederzeit splitternackt herumlaufen konnten, ohne Gänsehaut auf ihren Silikonkissen zu bekommen.

Ständig diese Demokratie

Als der ehemalige KGB-Offizier Putin ans Ruder kam, erkannte er messerscharf: Der Kapitalismus droht die Welt zu verschlingen? Da müssen wir Russen mitmachen, aber bitte ohne diesen Demokratiefirlefanz! Zu diesem Zwecke transformierte er Russland im Handumdrehen in einen autoritären, vor Gewalt nur so brodelnden Kleinbürgerstaat.

Und die USA? Die hatten sich derweil unter Hurricane „Katrina“ und den beiden Bush-Präsidenten ebenfalls verwandelt, nämlich in einen zombifizierten failed state, in dem bereits der Terror regiert.

Während der frisch verchromte eiserne Vorhang aus Gründen gegenseitiger Unfähigkeit dann wieder hinabgelassen wurde, mussten die beiden Kontrahenten nur noch eine Weile pöbeln und giften, die Klimaanlagen auf Freeze stellen und die Eismaschinen anwerfen – und natürlich morgens das Streuen nicht vergessen. Schon war die Welt in den zweiten Kalten Krieg hineingeschlittert. Dafür hat die Wissenschaft bereits eine Chifffre geprägt: „KK II“.

„Amis wie Sowjets kommen allerdings mit Minusgraden klar. Die einen wegen Sibirien, die anderen wegen Alaska“, weiß der Klimaforscher Ronald Regen aus Köln. „Für uns empfindsame Europäer bedeutet Kälte jedoch die Abwesenheit von Wärme. Und das macht uns Angst, weil: Kälte ist zwar der Normalzustand, aber nur draußen im toten, menschenleeren Weltall.“

Apropos totes, menschenleeres Weltall: „Ostdeutschland hat nie wirklich zu uns gehört“, sagt Dr. Unbekannt aus einem anonymen sozialen Netzwerk im Westen der Republik. „Da haben uns die wiedervereinigungsgeilen Stimmungsmacher aus Politik und Systempresse einen rosaroten Bären aufgebunden und ins schartige Messer rennen lassen.“

In dieser Logik finden viele Menschen, dass KK II neben willkommener Abkühlung auch eine einzigartige historische Chance bietet. „Wenn sich die Russen Ostdeutschland wiederholen wollten, gerne! Von uns würde keine auch nur einen Finger rühren, um sie daran zu hindern!“ bekennen etwa die Talkerin Christine Westermann und Kanye West übereinstimmend.

Ständig am Arsch

Und auch im Westen solle bitte schön das Klima rauer werden, fordern jetzt Wissenschaftler aus allen Disziplinen. „Misstrauen und persönliche Abneigung müssen wieder eine größere Rolle spielen, die sozialen Konflikte in jedermanns Alltag zu spüren sein“, frohlockt Konfliktforscher Neidhart Freund vom Institut für angewandten Antagonismus in Hassfurt, ehe ihm sein Dresdner Assistent nach und nach den Mund zutackert.

Freuen wir uns also auf KK II, auf den neuen Kalten Krieg. Der alte kann sich schon mal warm anziehen!

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