Nahostfilme auf der Berlinale: Ein Mädchen namens Layla
Der Nahe Osten steht in Flammen, Krieg und Kultur aber vertragen sich nicht. Besondere Filme aus der Region sind aus Israel zu erwarten.
Die Berlinale will sich angesichts der dramatischen Situation im Nahen Osten und der Flüchtlinge unbedingt solidarisch geben. „Ein Filmfestival kann vielleicht dazu beitragen“, sagt Festivalchef Dieter Kosslick in einem Interview des Deutschlandfunks, „mehr Toleranz zu erzeugen, weil man einfach Menschen und Situationen sieht, von Geschichten erfährt, die völlig anders sind als die, die man sonst von den Leuten kennt.“
Doch wo Bürgerkriege oder besonders repressive Systeme herrschen, entstehen selten – und so nebenbei – interessante (Spielfilm-) Produktionen. Krieg und Kultur vertragen sich nicht. Das wissen auch Kosslick und sein Festivalteam.
Im Programm des Forums bemüht man sich dennoch, symbolisch Akzente zu setzen. Mit „Houses without doors“ wird ein Dokumentarfilm aus dem heute besonders umkämpften syrischen Aleppo gezeigt. Filmisch ist das zwiespältig. Denn Regisseur Avo Kaprealian hat zwar unter Lebensgefahr vom elterlichen Balkon aus heimlich Alltag und Straßenkämpfe in der zweitgrößten Stadt Syriens dokumentiert. Doch ästhetisch hat Kaprealian keine befriedigende Sprache dafür gefunden.
So bleibt es bei einer Ästhetik des Moments, die sich rasch erschöpft. Zudem sind bereits gehaltvollere Dokumentationen (im syrischen Untergrund) gedreht und versendet worden. Aber darf man dies überhaupt anmerken angesichts der misslichen Umstände? Vielleicht muss man dies sogar. Denn das Setzen auf reine Betroffenheit war immer schon eine fadenscheinige Angelegenheit.
„Inertia“: 15.–20. 2.
„Sufat Chol“: 12.–19. 2.
Naturgemäß besonders umstritten ist das kleine Land im Nahen Osten, in dem als einziges halbwegs rechtsstaatliche und demokratische Verhältnisse in der Region herrschen. Und das sich mit einer Mauer gegen Attentäter schützt. Ja, die Rede ist von Israel, mit seiner reichen kulturellen Tradition, mit seiner Fähigkeit zur Selbstkritik, das in den letzten Jahren immer wieder mit sehr überraschenden Beiträgen auf dem Festival vertreten war.
„Inertia“ wirkt leicht depressiv
Doch wo ringsherum die Region in Flammen steht und von einem Aussöhnungsprozess zwischen Israelis und Palästinensern kaum mehr die Rede sein kann, scheint auch die Filmproduktion zu stagnieren. Oder der Blick der Berlinale-Kuratoren hat sich ideologisch in Richtung professioneller Israel-Kritik verengt.
Diese Vermutung legen jedenfalls filmisch so belanglose Beiträge wie „P.S. Jerusalem“ (eindimensional abgedrehter Antizionismus von Danae Elon) oder „Between Fences“ (theaterpädagogisch überreizte Erste-Welt-Kritik von Avi Mograbi) im Forum nahe.
Immerhin bietet das Forum dem Berlinale-Publikum noch einen israelischen Spielfilm wie „Inertia“ von Idan Haguel an. „Inertia“ wirkt leicht depressiv, beinhaltet aber ein paar Rätsel, einige interessante Einstellungen und mit Ilanit Ben-Yaakov eine kantig-faszinierende Hauptdarstellerin, die sehr interessante Sweat-Shirts mit Vogelmotiven trägt. Das ist doch schon einmal was.
Berlinale 2016
Auch wenn man den ganzen Film über nicht weiß, was diese Frau in der israelischen Hochhaussiedlung so einsam gemacht hat. Wenn man auch gerne glaubt, dass das merkwürdige Verschwinden des Mannes für die Hauptdarstellerin kein großer Verlust gewesen sein kann. Soll ja häufiger der Fall sein. Nur bleiben Trauer, Depression und die an und für sich sympathische Weirdness in „Inertia“ so unbestimmt, dass man sich schon fragt, ob dafür tatsächlich 90 Minuten Spielfilm notwendig sind.
Ein richtiges Highlight dagegen ist „Sufat Chol“ („Sandsturm“). Der Spielfilm von Elite Zexer wird im Panorama aufgeführt. Regisseurin Zexer verbindet eine sensible gesellschaftliche Betrachtung mit einer ruhigen, in sich sehr schlüssigen Spielfilmästhetik. So erlaubt ihr Film Widersprüche, wie sie nun einmal in fortschrittlichen wie rückständigen Konstellationen auftauchen, sofern man sie wahrnehmen will. Aber ohne diese zu markieren, macht Filmen und Reden darüber keinen Sinn.
Zexer erzählt die Geschichte einer fast schon modernen Israelin, die sich versucht, von der beduinischen Clanstruktur zu emanzipieren. Halb ist dieses Mädchen namens Layla der paternalistischen Herkunft bereits entwachsen. Schlau und zornig, bleibt sie materiell und emotional an Familie und Dorf gekettet.
Verrat am Medium
Der Wille zum Bruch ist wie schon bei der Mutter da. Layla geht Verbindungen ein, die sie nicht eingehen darf. Sie pflegt über das Bildungssystem verlockende Beziehungen zur Außenwelt. Doch die klapprige Beduinensiedlung am Rande der israelischen Gesellschaft erweist sich als eine zäh zu überwindende Festung. Ihr Vater Sulimann und ihre Mutter Jalila reflektieren bereits die alten patriarchalen Überlieferungen, ohne Konsequenz. Im Zweifelsfall zieht sich die Schnecke zurück in ihr Haus. Die Clanstruktur ist unerbittlich. Und eigentlich müsste man jetzt hier auch sagen: die arabische, wenn dies nicht immer so viele Missverständnisse hervorrufen würde.
In einer so kleinen und ruhigen Produktion wie „Sufat Chol“ steckt viel von dem Anspruch, den der Eingangs zitierte Festivaldirektor Dieter Kosslick formuliert hat: Menschen und Geschichten durch ein Filmfestival zu entdecken, über die man aus der Entfernung sonst oft nur in Stereotypen denkt und erfährt. „Sufat Chol“ stemmt sich auch mutig gegen jene Beiträge, die Film vor allem als Mittel von Propaganda verstehen und damit im Grunde Verrat am Medium begehen.
Über die depressive Haltung von „Inertia“ kann man streiten. Auch ob es Sinn ergibt, im Geiste der Solidarität „Houses without doors“ für festivalwürdig zu erachten. Eine ideologische Engstirnigkeit wie bei „P.S. Jerusalem“ muss aber nicht sein. Sie zieht sich aber doch durch einige der für die Berlinale ausgewählten Produktionen. Als ob eine professionell und selbstgerechte Israelkritik unsichtbar Regie führte und den offenen Blick verstellt. So können filmisch keine Mauern eingerissen werden, worüber bei anderer Gelegenheit noch zu reden sein wird.
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