: Placebo gegen Altersarmut
VORSORGE Die viel gepriesene Deutschlandrente hilft bei der Bekämpfung der zunehmenden Verarmung im Alter nur wenig
Die promovierte Volkswirtschaftlerin war bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB und saß bis 2009 im SPD-Vorstand. An dieser Stelle schrieb sie zuletzt im Oktober, warum Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge nicht gegeneinander in Stellung gebracht werden dürfen.
von Ursula Engelen-Kefer
Die Debatte über die Rentenpolitik ist um eine Facette reicher. Die Deutschlandrente soll nun richten, was die Riesterrente nicht vermochte, nämlich einen auskömmlichen Lebensstandard sichern und Altersarmut bekämpfen. So sieht es ein Vorschlag der schwarz-grünen Landesregierung von Hessen vor. Die grüne Bundestagsfraktion hat nun die Deutschlandrente auf ihre politische Agenda gesetzt.
Sie fordert von der Bundesregierung ein Gesetz zu einer „fairen und transparenten privaten Altersvorsorge“. Damit sollen auch Geringverdiener zusätzlich zu ihren Pflichtbeiträgen für die gesetzliche Rente eine private Zusatzversorgung ansparen. Für die Verwaltung ist ein staatlich regulierter Pensionsfonds vorgesehen. Nach dem Beispiel von Schweden und Norwegen, wo derartige Kapitalfonds zur Alterssicherung seit Jahren bestehen, allerdings zusätzlich zu auskömmlichen gesetzlichen Altersrenten, wird ein Zuwachs der Kapitalerträge von mindestens 4 Prozent erwartet. Nach dem Zeter und Mordio der privaten Finanzbranche, die um ihre Pfründe fürchtet, ist eine „Opt-out-Klausel“ vorgesehen.
Mit hochtrabenden Versprechungen war auch 2001 die Riesterrente gestartet. Die willkürliche Fiktion, alle 30 Millionen Arbeitnehmer in der gesetzlichen Rentenversicherung würden 4 Prozent ihres Einkommens in eine private Zusatzversorgung einzahlen, hat sich als „Flop“ erwiesen.
Gerade einmal 20 bis 25 Prozent der Versicherten haben eine Riesterrente abgeschlossen. Allerdings wurde durch den auch international einmaligen rot-grünen Willkürakt allen Rentnern die gesetzliche Altersrente um 4 Prozent herabgesetzt, auch wenn keinerlei Zusatzversorgung vorhanden ist.
Deutschlandrente versusRiesterrente
Fragt sich nur, warum das Sparen für die Deutschlandrente attraktiver sein soll als für die Riesterrente. Gerade Arbeitnehmer mit niedrigerem Einkommen werden nicht in der Lage und bereit sein, sich eine Deutschlandrente sozusagen vom Mund abzusparen. Zudem dürften insbesondere Geringverdiener kaum etwas davon haben, da zusätzliche Renten auf die Armutsrente angerechnet werden.
Darüber hinaus haben die Finanzkrisen nur zu deutlich gemacht, dass die Kapitalerträge nicht in den Himmel wachsen. Vielmehr bedeutet das niedrige Zinsniveau, dass die Träume von hohen Anlagegewinnen schnell platzen. An der Herabsetzung der gesetzlichen Altersrente würde sich auch nichts ändern, selbst wenn die seit Jahren angeprangerten Missstände der Riester-Reform bei der Deutschlandrente beseitigt würden: Undurchsichtigkeit der Produkte, haltlose Versprechungen hoher Kapitalrenditen sowie unverschämte Verwaltungskosten. Zudem wecken derartige gigantische Kapitalansammlungen nicht beherrschbare Begehrlichkeiten für finanzielle Raubzüge der Politik.
In dem Konzept der Deutschlandrente sollen für Geringverdiener großzügige Zulagen gewährt und die Beiträge nach individueller Leistungsfähigkeit gestaffelt werden, während sich bei der Riesterrente durch die wahlweise Förderung über Zulagen und Steuern die soziale Schieflage noch verstärkt hat. Gerade für besser Verdienende mit höheren Rentenansprüchen ist die steuerliche Entlastung ein willkommener Anreiz für den Abschluss einer privaten Zusatzrente. Hingegen verzichten Geringverdiener eher auf die öffentlichen Zulagen als einen Teil ihres knapp bemessenen Einkommens.
Aushöhlung der paritätischen Sozialversicherung
Es bleibt auch ein weiteres Ausweichmanöver vor der paritätisch von Arbeitgebern mitfinanzierten gesetzlichen Altersrente. Dazu hat die Riesterrente bereits die Vorlage geleistet. Die Beiträge wurden gedeckelt: auf 20 Prozent 2020 und 22 Prozent 2030. Den Versicherten wurde der Abstieg in Niedrigrenten auf unter 43 Prozent vom Nettolohn verordnet. Die Folge ist für die Mehrheit der Rentner ein erheblicher Abfall ihres Lebensstandards. Auch die in den letzten Jahren erfolgten Rentensteigerungen über der Inflationsrate können diesen gewaltigen Aderlass nicht annähernd ausgleichen. Eine weitere Schwächung ihrer Kaufkraft erfolgt durch die ständigen Kürzungen von Leistungen in der Krankenversicherung.
Gleichzeitig müssen Arbeitnehmer und Rentner höhere Beiträge leisten, während die Arbeitgeber von jeglichen Zusatzbelastungen befreit sind. Wie selbst amtliche Rentenberichte vermelden, werden in den nächsten Jahren auch mittlere Einkommensbezieher nahe an oder unter die Armutsgrenze fallen. Auch nach einem harten Arbeitsleben mit hohen Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung ist der Gang zum Sozialamt im Alter nicht mehr ausgeschlossen. Für Geringverdiener, darunter viele Frauen, wird häufig nur noch die Armutsrente mit der entwürdigenden Bedürftigkeitsprüfung die Regel sein.
Bekämpfung der Altersarmut verschoben
Die Große Koalition hat erstmals seit Jahrzehnten die Spirale der Verschlechterungen in der Rentenversicherung angehalten. Sie hat sie durch die Mütterrente und durch die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren umgekehrt. Allerdings ist dies kein nachhaltiger Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut. Die zusätzlichen Rentenleistungen für die vor 1992 geborenen Kinder werden auf die Armutsrenten angerechnet. Und von der 63er-Regelung profitieren vor allem langjährig Versicherte und besser Verdienende, in der Regel Männer. Das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Bekenntnis zur Bekämpfung der Altersarmut durch eine solidarische Lebensleistungsrente ist auf 2017 verschoben, mithin auf das Jahr der nächsten Bundestagwahl und damit auf die kommende Legislaturperiode.
Die Bekämpfung der Altersarmut erfordert anstelle einer wohlklingenden Deutschlandrente die Wiederherstellung der gesetzlichen paritätisch von den Arbeitgebern mitfinanzierten Altersrente. Dazu müssen die Rentenkürzungen rückgängig gemacht und die sogenannte „Riester-Treppe“ in der Rentenanpassungsformel wieder nach oben gegangen werden. Leider fehlen der Großen Regierungskoalition trotz ihrer breiten politischen Mehrheit Bereitschaft und Mut.
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