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Fremdartig leuchtet es aus allen Ecken

Kino „Sibylle“ mit Anne Ratte-Polle als überragender Hauptdarstellerin versucht sich wohlinszeniert und skurril als Psychothriller

Anne Ratte-Polle spielt Sibylle elegant im Sekundenwechsel zwischen Normalität und Wahnsinn Foto: Eksystent Distribution

von Carolin Weidner

Ein Riss geht durch Sibylles (Anne Ratte-Polle) Leben. Einer, der sich womöglich bereits lange angekündigt hat und nun, im gleichnamigen Film „Sibylle“ des Schweizer Regisseurs Michael Krummenacher, offensichtlich wird.

Schon auf der Grafik zum Kinoplakat ist er zu sehen, der Riss. Scharf tritt er im Schwarz-Rot-Kontrast hervor. Aber da ist noch mehr als ein Riss. Verändert man ein wenig die Perspektive, dann könnte der schwarze Zacken auch für eine Klippe stehen, einen Abgrund, der durch ein zuvor noch ganz gewesenes Stück verläuft.

Auch die Klippe spielt eine Rolle in „Sibylle“, gleich zu Anfang schon. Da ist die verheiratete Architektin mit Ehemann Jan (Thomas Loibl), ebenfalls Architekt, und den beiden Kindern David (Dennis Kamitz) und Luca (Levi Lang), die in Italien Urlaub machen. Hier soll sich die abgespannte Sybille erholen. Doch die Frau kommt nicht zur Ruhe. Zu früher Stunde tätigt sie längst lange Spaziergänge, an Klippen entlang. Und einmal begegnet ihr dort eine, die ihr erstaunlich ähnlich sieht.

Brummender Weltzerfall

Michael Krummenacher hat in „Sibylle“ ein Stück Genre-Kino vorgelegt und die Doppelgängerin zählt zu den ersten Motiven, die auf den nahenden Horror hindeuten. Hinzu kommt ein omnipräsentes Brummen, das aus Geräten und Lautsprechern dringt: auditive Verunsicherungen, für niemanden hörbar außer für Sibylle selbst, deren Welt sukzessive auseinanderzufallen scheint.

Krummenacher macht dieses im Fall begriffene Dasein sichtbar, indem er zeigt und hörbar macht, was Sibylle begegnet, was in ihre Ohren dringt – und was immer weniger Sinn ergeben will. Die Doppelgänger-Begegnung am Wasser steht für einen unheilvollen Auftakt: Momente, nachdem Sibylle die Frau gestreift hat, liegt diese tot im Wasser. Von einer Klippe gestürzt. Ein Selbstmord? Hätte Sibylle ihn verhindern können?

Auch das Italien-Flair verändert sich mit jenem Vorfall merklich. Die Bilder katholischer Geistlicher, die nun offenbar an allen Wänden vorzufinden sind, strahlen etwas Unheimliches aus. Und auch die Beleuchtung tritt merklich aus dem Natürlichen. Es ist eine Stimmung, die sich im Verlauf von „Sibylle“ nur intensivieren kann und soll, bis es in einigen Szenen rot und grün und fremdartig aus allen Ecken leuchtet und das Entsetzen, das Wirre, sich fest auf Sibylles Gesicht gelegt hat.

Anne Ratte-Polles klare, elegante Züge vermögen jenes Spiel zwischen Normalität und Wahnsinn dabei eindrücklich zu transportieren. Keine leichte Aufgabe, schwanken die Stimmungen doch manchmal binnen Sekunden. Wenn Sibylle, zurück in Deutschland, etwa ein Projekt präsentiert und sich dieses sonderbare Italien plötzlich in den Saal schleicht, dann ist das unmittelbare Grauen so stark, dass die Frau abbrechen muss und die Präsentation ins Wasser fällt. Folge: Mann Jan übernimmt fürs Erste das Architekturbüro.

Und nicht nur das. Jan möchte mit Sibylle auch auf rationale Erklärungssuche für die sich häufenden Ausfälle gehen. Sibylle sieht Dinge, die nicht da sind? Klar, ab zum Augenarzt! Jener, gespielt von Heiko Pinkowski, ist dabei selbst nicht frei von Furchteinflößendem. Aber rät: „Weißt du, Sibylle, der Körper rebelliert nicht ohne Grund. Du brauchst Ruhe. Keine Hektik, kein Stress, kein Sport, keine Arbeit.“

Die Reaktion: „Das ist nicht dein Ernst.“ Trotzdem zieht sich Sibylle aus dem Alltagsgeschäft zurück. Und rückt damit nur noch weiter weg. Michael Krummenacher zeigt sie dann mit einem falsch zugeknöpften Hemd und ungekämmtem Haar. Auch eine kleine Nachbarschaftsromanze mit Yannick (Thomas Fränzel) gesellt sich zum Chaos. Der hatte Sibylle nachts ein paar Zweige Hinterhof-Jasmin überreicht.

Ohnehin sind es Situationen wie diese (wohlinszeniert und schön skurril), die in „Sibylle“ zuhauf zu finden sind und die man im deutschen Kino nicht oft zu sehen bekommt.

An manchen Stellen ist es, als würde man 70er-Jahre-Kino gucken, ein bisschen Argento, etwas De Palma vielleicht. Dennoch fehlt der Geschichte eine nötige, ganzheitlich überspannende Raffinesse. Eine, die über die Komposition einzelner Szenen und miteinander verknüpfter Zeichen hinausgeht.

„Sibylle“. Regie: Michael Krummenmacher. Mit Anne Ratte-Polle, Thomas Loibl u. a. Deutschland 2015, 86 Min.

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