piwik no script img

Erfahrungen eines Fußball-AushilfscoachsKeine Gnade für das nette Amerika

Kicken in den USA ist eine spezielle Sache – auch für einen Vater aus dem Land der Weltmeister. Am Ende bleibt Fußball aber eben doch Fußball.

Spielen mit Lobgarantie: In Davis kicken die Kinder in einer Wohlfühlklima. Foto: Ehler Voss

Er sei ja eigentlich mehr ein Baseballtyp, meint der Trainer der Fußballmannschaft meines 11-jährigen Sohns bei unserer ersten Begegnung. Gerade hat er mich aufgrund unserer Herkunft aus dem Land der Weltmeister kurzerhand zum „Second Assistant Coach“ berufen. Baseball würden sie ihn hier aber nicht mehr trainieren lassen, Eltern hätten sich beschwert, dass er zu fordernd sei. Aber das sei typisch Davis, hier gehe es weniger um Wettkampf als um Wohlfühlen.

Ich bin gerade für ein Jahr an der Stanford-Universität. Vor allem die im Verhältnis zum Silicon Valley moderaten Mieten sowie das Versprechen einer hohen Lebensqualität brachten meine Familie und mich nach Davis – eine Universitätsstadt mit 65.000 Einwohnern etwas südlich der kalifornischen Hauptstadt Sacramento.

Nicht nur der aus Alabama stammende Trainer findet es hier speziell. So wie man Kalifornien nicht mit den USA, könne man Davis nicht mit Kalifornien gleichsetzen, hören wir immer wieder.

Allerdings entspricht vieles in Davis durchaus kalifornischen Klischees – eine Fahrrad- und Fußballstadt mit optimistischer Umwelt, Gesundheits- und Kommuneorientierung, mit einer großen Food-Cooperative aus den 1970ern, tibetischen Gebetsfahnen in den zahlreichen Permakulturgärten, Highschool-Lehrern, die im Mathe-Unterricht Yogaübungen anbieten und lauter wohlsituierten, durchtrainierten und freundlich-kommunikativen Menschen, die nur dann schlecht gelaunt sind, wenn ihre Kinder „bad words“ verwenden.

ist Ethnologe, arbeitet an der Universität Siegen und lebt in Leipzig. In Kalifornien forschte er unter Spiritisten, Geisterjägern, Parapsychologen, Magiern und Skeptikern zur Kontroverse um Paranormalität.

Begabung zum Loben

Egal mit welcher Familie man spricht, mindestens eines der Kinder spielt in einer ehrenamtlich von Eltern betreuten Mannschaft der American Youth Soccer Organization, die seit 40 Jahren daran arbeitet, Fußball abseits der teuren Privatclubs als Breitensport zu etablieren.

Die Erwartung des Trainers, in mir einen Waffenbruder im Kampf für hartes Training gefunden zu haben, muss ich enttäuschen. Angesichts der hochroten Köpfe bei knapp 40 Grad im nicht vorhandenen Schatten plädiere auch ich relativ schnell für eine Reduzierung des ausgiebigen Lauftrainings. Dafür kann ich schon mit einfachen Standardübungen immerhin die Erwartung eines Kompetenzgewinns erfüllen – dringend notwendig, wirken doch viele Kinder zunächst so, als hätten sie zum ersten Mal einen Ball am Fuß.

Die Fußballeltern in Davis? Lauter wohl­situierte, durchtrainierte und freundlich-kommunikative Menschen, die nur dann schlecht ­gelaunt sind, wenn ihre Kinder bad words verwenden

Doch zu meiner Überraschung ändert sich das schnell, das neu zusammengestellte Team verbessert sich mit jedem Mal enorm, und wir gewinnen Spiel um Spiel. Führt der Haupttrainer dies auf sein Konditionstraining zurück, betont sein erster Assistent in kalifornischer Höflichkeit die Hilfe aus Deutschland. Ich dagegen sehe den Schlüssel zum Erfolg in der Begabung beider Trainer zum Loben. Ihre Fähigkeit, jeden Spieler in seiner Individualität wahrzunehmen und seine Stärken zu betonen, lässt das ohnehin schon große Selbstbewusstsein der Kinder ständig wachsen.

Und als unsere Blue Dudes nach einem 1:4-Rückstand zur Halbzeit und einer eindringlichen Pausenansprache des Trainers am Ende erneut als Sieger vom Platz gehen, glaube auch ich endlich, dass mit der stets geforderten und offenbar auch allgemein vorhandenen „I can“-Mentalität alles möglich ist.

Ermutigende Positivkultur

Doch der Trainer spricht oft sorgenvoll von unserem bevorstehenden Gegner aus Colusa, einem kleinen 6.000-Einwohner-Ort nördlich von Davis. Das Team bestünde nur aus Hispanic Americans, deren Eltern ihnen nie zur Wahl gestellt hätten, keinen Fußball zu spielen. Das sei eine ganze andere Welt als hier in Davis.

Und nun stehen wir da, nach einer Stunde Fahrt durch die heiße, trockene und monotone Plantagen- und Agrarlandschaft des Sacramento Valleys und hören ihn sagen: „Okay, listen guys: This is not Davis, this is real soccer!“ Was das heißt, wird ziemlich schnell klar. In der Pause hebt der Trainer jedes Nettigkeitsgebot auf: Spielt hart, seid aggressiv, setzt euren Körper ein, und macht es genauso wie die: Hört erst auf, wenn der Schiedsrichter pfeift! Doch damit sind die auf Nettigkeit getrimmten Kinder aus Davis dann doch überfordert. Das erste Mal fahren wir als chancenloser Verlierer nach Hause.

Als mich ein Vater nach meiner Einschätzung des amerikanischen Fußballs fragt, liegt darin schon die Erwartung eines vernichtenden Urteils. Doch stattdessen lobe ich die hiesige allgemeine Positivkultur – dass hier nicht nur die Eltern, Trainer und Lehrer mit den Kindern, sondern auch die Kinder untereinander respektvoll, freundlich, hilfsbereit und aufmunternd miteinander umgingen, dass hier nicht diejenigen doof seien, die etwas probierten, ohne es zu können, sondern diejenigen, die es nicht probierten, egal ob sie es können – eine Kultur, die sogar unsere 16-jährige Tochter zum Fußball animiert habe, in Deutschland undenkbar.

Fußball ist nicht Sport

Spürt man hier nicht den Geist des guten, gerechten und netten Amerikas, das man angesichts kapitalistischer Realitäten und diktatorisch überregulierender Auswüchse politischer Korrektheit oft vergisst? Handelt es sich hier nicht um eine gelungene Kombination aus dem kalifornischen Liebe und Frieden versprechenden „Be kind“ und dem uramerikanischen, Chancengleichheit und Integration versprechenden „Play fair“-Gebot? Eine Kombination, die ihren Kulminationspunkt in der zumeist mit beneidenswerter Ernsthaftigkeit von Eltern in voller Schiedsrichtermontur durchgesetzten „Mercy Rule“ findet, nach der die guten Spieler ausgewechselt werden müssen, wenn eine Mannschaft zu hoch führt?

Ich erzähle von unserer schwierigen Suche nach einem Fußballverein in Leipzig, dessen Trainer sein Amt nicht mit dem eines Feldwebels verwechsele und die Kinder nicht durch die ständige Betonung ihrer Unzulänglichkeiten demotiviere. Ich erzähle, dass in Berlin die Drei-Meter-Abstand-Zone für Eltern erfunden wurde und selbst in dem politisch linken Verein meines Sohns einzelne Eltern ihre Kinder nach dem Spiel zum Weinen bringen. Doch bevor ich weiter die Zustände in Kalifornien preisen kann, werde ich unterbrochen. Sie hätten hier in den USA ja auch so etwas, meint er: „But we call it Baseball.“ Die Eltern stünden hier nur deswegen so ruhig am Spielfeldrand, weil sie einfach keine Ahnung von Fußball hätten. Und da war es wieder: Davis ist nicht Kalifornien und Kalifornien nicht die USA – und Fußball ist nicht Sport!

Zurück in Davis setzt unser Team seine Erfolgsserie unbeirrt fort. So ist auch der Davis-Cup am Ende der Saison kein Problem. Auch im darauf folgenden Turnier der regionalen Stadtsieger spielt sich das Team problemlos ins Finale. Doch stößt es dort, wie sollte es anders sein, erneut auf den echten Fußball. Offenbar bin ich der Einzige, der nach dieser Nachricht nicht den Kopf in den Sand steckt. Nun kann ich zeigen, was ich inzwischen an Motivationskunst gelernt habe. Und nachdem die Kinder nach meiner Ansprache tatsächlich mit „Let’s beat Colusa!“-Rufen losziehen, bin ich wirklich überzeugt: Yes, we can!

Doch es gibt keine Gnade für das nette Amerika. Das Spiel verläuft genauso, wie sich das Ergebnis anhört: 0:8. Aus der große Traum vom nächsten Schritt, dem Nordkalifornien-Turnier. „Ich kann kein ‚Good job, guys!‘-Gelobe mehr hören!“, meint mein Sohn, als die Tränen getrocknet sind. Der echte Fußball hat endgültig über das Modell Davis gesiegt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!