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Zimmer mit Aussicht

Liederzyklus Die Popstars Chilly Gonzalez und Jarvis Cocker zu Gast im Hamburger Kampnagel

Die Schauspielerin Lindsay Lohan und der Popstar Britney Spears erhielten wegen ungebührlichen Verhaltens Hausverbot. Der Schauspieler John Belushi starb an einer Überdosis Heroin, und auch der Fotograf Helmut Newton dürfte kaum nüchtern gewesen sein, als er seinen Cadillac an die Hotelmauer setzte und an den Folgen des Unfalls starb. Dass sich Legenden um das „Chateau Marmont“ – einem aus 63 Zimmern bestehendes Symbol für den Überfluss von Hollywood – ranken, ist stark untertrieben.

Wenn ein kanadischer und ein britischer Popstar beschließen, einen auf wahren Ereignissen in „Room 29“ des Hotels basierenden Liederzyklus als „work in progress“ am Kampnagel-Theater in Hamburg aufzuführen, müsste der Clash zweier ­Super-Egos aus der Welt des Showbiz eigentlich vorprogrammiert sein. Aber im Gegenteil, Chilly Gonzales, der kanadische Pianist, der sich halb­ironisch als „musical genius“ bezeichnet, duettiert hervorragend mit dem Sänger Jarvis Cocker, der mit Zeilen wie „I’m not Jesus though I have the same ­initials“ in den neunziger Jahren als Frontmann der Band Pulp seinen Status als intellektueller Halbgott des britischen Pop zementierte.

Der 43-jährige, in Montréal gebürtige Gonzalez betritt die Kampnagel-Bühne in seiner Arbeitsuniform Bademantel und Pantoffeln und nimmt am Flügel Platz. Jarvis inszeniert sich dagegen als verlotterten Dandy im viel zu großen und abgewetzten Jackett. Mit angegrautem Vollbart und Breitcordhose conférenciert er sich durch einen Abend, der nicht ferner sein könnte von der kalifornischen Sternchen-Welt.

Chilly, der studierte Pianist, gleitet durch sanfte Moll-Minia­turen, während Jarvis seinen Reisekoffer auspackt und Geschichten aus der goldenen Ära der Filmstudios aus den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts erzählt. Per Roomservice wird Chillys Begleitensemble, das Kaiser Quartett, bestellt, das die barocke Note seiner Musik zupfend und streichend unterstreicht.

In den surrealen Überhöhungen liegen einige der stärksten Momente des Abends: bei Cocker etwa, als er das Close-up einer weiblichen Zunge auf der Videoleinwand anschmachtet. Die in weiße Tücher gehüllte Tänzerin wirbelt zu roten Stroboskopblitzen über die Bühne, während der Sänger sich auf einem Feldbett niederlässt.

Geschichten und Songs wechseln sich ab; Jean Harlow, die als Sexsymbol der frühen dreißger Jahre galt und im Chateau Marmont ihre Hochzeitsnacht verbrachte, besingt Jarvis in seinem unnachahmlichen Stil, gleichzeitig schwungvoll und schwermütig. Auch dem Filmproduzenten und Flugpionier Howard Hughes widmet Cocker eine Story: Hughes beäugt darin weibliche Neuankömmlinge am Hotel-Pool mit dem Periskop.

Eine gewisse Nervosität ist dem Pulp-Sänger anzumerken, der in den letzten Jahren nur selten Konzerte gegeben hat. Bei der Weltpremiere auf Kampnagel sucht er öfter Blickkontakt zu seinem Kompagnon. Gonzalez, amtierender Weltrekordhalter im Dauerkonzertieren, lächelt aufmunternd und hält sein monströses Selbstbewusstsein im Zaum. Schließlich hatte ­Cocker die Idee zu dem Liederzyklus, der wohl 2017 mit einem gemeinsamen Album und weiteren Konzerten zur endgültigen Reife gelangen wird.

Am Ende des Abends gibt es als Zugabe ein zweites Mal „Tearjerk“, den Song mit dem jetzt schon unsterblichen Zweizeiler, den der 53-jährige Jarvis Cocker nur auf sich selbst gemünzt haben kann: „You don’t need a girl­friend / You need a social worker“. Jan Paersch

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