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Kein Pass, keine Strafe?

Kriminalität Kieler Polizei leitete bei Ladendiebstählen von Papierlosen keine erkennungsdienstlichen Maßnahmen ein. Innenminister in der Kritik

Wann lohnt es, den erkennungsdienstlichen Apparat losrattern zu lassen? Bei „einfachen Delikten“ wie Ladendiebstählen oder Sachbeschädigung eher nicht, meinten die Vertreter von Kieler Polizei und Staatsanwaltschaft, die sich im Oktober trafen. Es ging dabei um Fälle, in denen die Verdächtigen Flüchtlinge sind – ohne Papiere, ohne Registrierung, auf der Durchreise.

„Ein Personenfeststellungsverfahren oder erkennungsdienstliche Behandlung scheidet in Ermangelung der Verhältnismäßigkeit und aus tatsächlichen Gründen (Identität kann nicht festgestellt werden) regelmäßig aus“, heißt es in dem Protokoll des Treffens, das der Landtagsabgeordnete Patrick Breyer (Piraten) Freitag veröffentlichte. Zuvor hatten Bild-Zeitung und Kieler Nachrichten aus dem Papier zitiert. Der Tenor: Die Stadt Kiel verfolge keine straffälligen Flüchtlinge.

Der Kieler Polizeichef Thomas Bauchrowitz widersprach: „In jedem Einzelfall ist eine Strafanzeige erstattet worden.“ Doch bei Taten, die wegen Geringfügigkeit sowieso eingestellt würden, folgte die Polizei der Vereinbarung.

Laut Bauchrowitz ging es seit Oktober um rund 20 Fälle, darunter ein Ladendiebstahl, bei dem Waren für 9,74 Euro entwendet wurden. Dumm nur: Keine zwei Wochen nach der Kieler Runde gab es ein Gespräch des damaligen Generalstaatsanwalts mit den Leitern aller Staatsanwaltschaften, mit dem Ergebnis, keine Sonderregelung für Papierlose zu schaffen: „Damit war das an sich erledigt“, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Diese Nachricht aber kam bei der Kieler Polizei nie an – die Beamten gingen davon aus, dass sie nach dem Erlass handeln sollten.

Als der Fall bekannt wurde, gab es vor allem von CDU und FDP im Landtag heftigen Protest. Innenminister Stefan Studt (SPD) äußerte sich erst am Donnerstag: Die Vereinbarung sei für die Polizei „eine wichtige handlungsleitende Maßgabe für die operative Praxis“ gewesen. Dass die „zwischenzeitlich revidierte Rechtsauffassung“ – heißt übersetzt: die Feststellung, dass Verfolgung von Straftaten nichts mit der Herkunft möglicher Täter zu tun hat – „mit Verzögerung“ bei der Polizei ankam, nannte Studt „bedauerlich“. Die Opposition fordert nun parlamentarische Aufklärung des „Skandals“. Am kommenden Mittwoch wird Studt im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags berichten. Est

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