Neue Western-Comics: Meister der Schraffur
Die Großwerke des Genres sind aus Europa: Palacios‘ Schnee-Western gibt‘s nun auf deutsch und Tiburce Oger zeichnet den rastlosen Cowboy Ed Fisher.
Im Kino der USA hatte der Western lange eine prominente Position inne. Im dortigen Comic war er dagegen nie besonders wichtig, im Vergleich mit der überragenden Rolle, die seit den 1940er Jahren die Superhelden spielten. Die großen Western-Comics – wie „Leutnant Blueberry“ von Charlier/Giraud, „Comanche“ von Greg/Hermann, „Jonathan Cartland“ von Harlé/Blanc-Dumont – sind seit den 1960er Jahren in Europa entstanden, als das Genre in Hollywood seinen Zenit längst überschritten hatte.
Alle diese Reihen stammen aus dem französischen Sprachraum. Mit zwei wichtigen Ausnahmen, für die beide Antonio Hernández Palacios verantwortlich ist. Der 1921 geborene Spanier zeichnete von 1978 bis zu seinem Tod vor 15 Jahren die Serie „Mac Coy“, in deren Zentrum ein Kavallerieoffizier steht, der nach dem Sezessionskrieg auf die Seite der Yankees gewechselt ist. Aber schon davor versuchte Palacios sich ab 1971 mit „Manos Kelly“ an einem Western-Comic, der nun erstmals komplett auf Deutsch in einer schönen, großformatigen Ausgabe vorliegt.
„Manos Kelly“ beginnt im Jahr 1848, nach dem Ende des mexikanisch-amerikanischen Krieges, in dem die Hauptfigur den US-Truppen als Scout gedient hat. Als Kelly sich mit brutalen Desperados, die eine Gruppe von Indianern gefangen haben, anlegt, wird er in ein Abenteuer verwickelt. Es wird ihn in insgesamt vier Alben vom glutheißen Arizona ins verschneite Nevada führen. Was die Serie von anderen Western unterscheidet, ist die betont spanische Perspektive, aus der sie erzählt ist. Über den Patriotismus, der dabei anklingt – im Sinne von: „So viel haben unsere Landsleute in den USA geleistet!“ –, muss man heute ein wenig lächeln. Interessant ist aber, dass Palacios, stärker als üblich, den Westen als einen Ort kenntlich macht, in dem Menschen aufeinander treffen, die zunächst noch weniger amerikanische Bürger als Migranten aus Europa sind.
Von einigen der „Manos Kelly“-Seiten sind die Farbfilme verloren gegangen. Bedauern muss man dies nicht. Denn die grelle Kolorierung, vor allem in den ersten beiden Alben, tendiert dazu, die Feinheiten des detaillierten Artworks einzuebnen. Palacios ist ein Meister der Schraffur, der seinen Bilder immer wieder eine enorme Plastizität zu verleihen versteht und bei dem alles Massige, Wuchtige – seien es Lebewesen oder Dinge – zugleich eine fast wolkige Leichtigkeit besitzt.
Antonio H. Palacios; „Manos Kelly“, Dt. von A. Höchemer, Avant Verlag, 218 St., 39,95 Euro.
Tiburce Oger: „Buffullo Runner“, Dt. von H. Sachse, Splitter Verlag, 88 St. 18,80 Euro.
Von Komantschen geraubt
Weitaus radikaler in dem Wunsch, gängige Westernbilder zu konterkarieren, ist das Album „Buffalo Runner“. Der französische Comic-Zeichner Tiburce Oger entwirft, gestützt auf gründliches Quellenstudium, das Leben eines Cowboys namens Ed Fisher.
Als Sohn deutscher Einwanderer 1836 geboren, wird Ed als Kind von Komantschen geraubt. Später kämpft er im Sezessionskrieg auf Seite des Südens. Dann schießt er als professioneller Jäger Tausende Bisons ab, bevor er auf der Ranch eines exzentrischen Millionärs, der Rinder züchtet, als Vorarbeiter anheuert. Seine Versuche, sesshaft zu werden, scheitern, so dass er als 60-Jähriger immer noch heimatlos umherstreift.
Oger treibt dem Western gründlich aus, was ihm als letztes geblieben ist: die Romantik der Gewalt. Diese ist hier schlicht die dominierende Kommunikationsform und so selbstverständlich wie ein „Hallo“ – egal ob sie sich gegen Männer, Frauen, Kinder oder Tiere richtet, egal ob Weiße Indianer niedermetzeln oder umgekehrt.
Die Gewalt hat in „Buffalo Runner“ nichts Befreiendes, Erlösendes mehr. Sie ist auch nicht mehr mit schönen, coolen Gesten und Bewegungen verbunden, im Gegenteil: Das Töten und die waffentechnischen Vorbereitungen, die dafür zu treffen sind, erscheinen als ein ebenso brachialer wie mühevoller Akt.
Bei Karl May wird der Westen gern als dark and bloody ground bezeichnet. In diesem Comic ist er es tatsächlich. Dass Oger in seinen Zeichnungen mitunter die nostalgisch-heroisierenden Cowboyfantasien Frederic Remingtons und der „Dime Novel“-Illustratoren anklingen lässt, ist zutiefst ironisch.
Ogers „Buffalo Runner“ ist ein Western, wie es noch keinen gegeben hat. Das ist nach den unzähligen Werken, die ihm in mehreren Medien vorangegangen sind, eine beachtliche Leistung.
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