: Die Vielfalt des Kopfsteinpflasters
JAZZ Beim Cobblestones Festival präsentieren Mitglieder des Composers’ Orchestra Berlin (COB) ihre eigenen Bands: Jazz mit Streichern, Fusionen von Tango mit Balkanmusik und kollektive Improvisationen zu Samples
von Franziska Buhre
In Berlin gibt es die meisten und spannendsten Jazzfestivals Deutschlands. Nun kommt ein neues hinzu und gibt den Auftakt für einen Reigen an Konzertereignissen, der bald schon nicht mehr überschaubar sein wird. Denn das Cobblestones Festival ist in mehrfacher Hinsicht eine Premiere: Die Komponistin und Musikerin Hazel Leach veranstaltet zum ersten Mal ein mehrtägiges Programm mit dem Schwerpunkt auf komponierten Jazz von diversen Mitgliedern ihres Jazz Composers’ Orchestra Berlin, kurz COB.
Die Engländerin entschied sich nach 25 Jahren Lehre an der Hochschule für die Künste im niederländischen Arnheim für Berlin und gründete das COB im Herbst 2010. Seither reichert sie erfolgreich eine Leerstelle der Berliner Jazzszene mit einer Praxis an, für die es kein Vorbild gab: MusikerInnen, die auch praktizierende KomponistInnen sind, spielen im großen Ensemble Stücke, die sie eigens für die Besetzung aus Streichquartett, je drei Holz- und Blechbläser plus Rhythmusgruppe mit Klavier, Bass und Schlagzeug, geschrieben haben.
Das COB unterscheidet sich wesentlich von einer Big Band, denn jede Klangfarbe ist einzeln besetzt und nicht mehrfach wie in den Gruppen einer Big Band. Im Composers’ Orchestra erklingen die Holzbläser mit Alt-, Tenor-, Baritonsaxofon, Klarinette und Flöte (die SaxofonistInnen spielen mehrere Instrumente), Trompete, Posaune und Tuba bilden dazu die Entsprechung auf den Blechblasinstrumenten.
Während eine klassisch besetzte Big Band meist Stücke aus dem Repertoire bestimmter Jazzstile spielt (eine rühmliche Ausnahme ist das Berlin Jazz Composers’Orchestra JayJayBeCe, das Werke zeitgenössischer Berliner KomponistInnen aufführt) und andere Bandleader ausschließlich ihre eigenen Ideen mit einer Großformation verwirklichen, sind im COB die diversen kompositorischen Ansätze aller Mitglieder gefragt. Und da jedeR MusikerIn Einflüsse aus anderen Musikrichtungen mitbringt, entsteht ein lebendiges Repertoire mit Stimmungen aus Jazz, klassischer Musik, den Volksmusiken verschiedener Länder und Pop. Jedes Orchestermitglied weiß sich auch improvisatorisch auszudrücken und bindet Improvisationen selbstverständlich in kompositorische Verfahren ein.
„Ich fand es immer interessanter, für eine große Besetzung zu schreiben als für eine kleine“, erzählt Leach im Gespräch. Mit dem Komponieren für eine große Besetzung begann sie selbst im United Women’s Orchestra, einer Big Band mit Musikerinnen aus Deutschland, den Niederlanden und Österreich, die sie 17 Jahre auch leitete. Über die Musik des COB sagt sie: „Mein einziger Auftrag ist, dass sie in keine Schublade passt. Du schreibst, was du selber schön findest, nicht unter den Bedingungen eines bestimmten Stils.“ Für eine große Besetzung zu komponieren erfordere ein anderes Denken als in der improvisierten Musik oder im Jazz kleiner Ensembles. „Man arbeitet mit großen harmonischen und rhythmischen Strukturen. Das Orchester bietet vielen MusikerInnen erstmals die Möglichkeit dazu.“
Die Stücke für das Hörbuch „Spazieren in Berlin“ zu den gleichnamigen Texten von Franz Hessel entstanden 2013, ein Jahr später erschien das Album „Free Range Music“. Die eigene Klangidentität des Orchesters entspricht als Fundament eben jenen „Cobblestones“, dem Kopfsteinpflaster, aus welchem sich elf der Mitglieder lösen und entweder mit eigenen Ensembles oder sich in den Bands ihrer SpielgefährtInnen beim Festival präsentieren.
Im Sextett Chiffchaff der Saxofonistin Edith Steyer spielen der gefragte Berliner Bassist Johannes Fink Cello und die exzellente Kontrabassistin Maike Hilbig, im achtköpfigen Rusira Mixtett der Saxofonistin Ruth Schepers ist auch einer der Schlagzeuger des Orchesters, Tom Dayan, vertreten. Der israelische Musiker erweitert sein Quartett Mifrás für das Festival um ein Streichquartett sowie Alt- und Baritonsaxofon. Die Cellistin Franziska Kraft, seit 2015 im Orchester, hat eigens für das Konzert des Trio Tsching mit dem Saxofonisten Helmut Mittermaier und dem Gitarristen Ben Aschenbach ein neues Programm geschrieben, das Elemente aus Jazz, Tango und Musik aus der Balkanregion vereint.
Das Pianotrio Out of Print mit dem Bassisten Dirk Strakhof widmet sich wiederum den beständigen Herausforderungen dieser Besetzung, während das Trio des Pianisten Leo Auri, Black Milk Impulses, mit elektronischen Samples, Posaune und Schlagzeug kollektiv improvisiert. Zum Abschluss spielt das Orchester, das auch regelmäßig Konzerte im Jazzclub Schlot gibt, viele Kompositionen der Mitglieder – und natürlich von Hazel Leach.
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