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Spannung Mit der Gangster-Tragödie „Am Ende einer Welt“ verabschiedet sich Dennis Lehane von einem SuperheldenWie es einmal war in Amerika

Wie schon der Titel unmissverständlich klarmacht, kommt so einiges an ein Ende in diesem Buch. Unter anderem auch Dennis Lehanes Coughlin-Trilogie, die mit diesem Band abgeschlossen ist. (Und die nicht von vorn bis hinten durchgearbeitet werden muss! Alle drei Bände lassen sich ganz unabhängig voneinander lesen.)

Bereits der zweite Teil, „In der Nacht“, handelte vom Werden und Wirken des großen Gangsters Joseph, genannt Joe, Coughlin, der es trotz irischer Herkunft in den Reihen der Mafia weit gebracht hat. Jetzt, in „Am Ende einer Welt“, treffen wir ihn im Jahr 1942 an. Die Zeiten der Prohibition, während derer Joe mit dem Schmuggeln von Alkohol reich geworden war, sind lang vorbei, ebenso seine Zeit als Gangsterkönig von Tampa, Florida. Ins zweite Glied zurückgetreten wegen seines irischen Blutes, hat Joe den Italienern das Sagen überlassen, macht im Hintergrund gute Geschäfte, lebt ein gutes Leben und erfreut sich allgemeiner Beliebtheit.

Umso überraschender trifft ihn die Nachricht, dass ein Killer auf ihn angesetzt worden sei. Joe ist schockiert. Seit nunmehr sieben Jahren ist er alleinerziehender Vater eines Sohnes, den er zu schützen hat. Er ist erst sechsunddreißig Jahre alt, aber schon bevor ihn das Killer-Gerücht erreicht, scheint er Anzeichen von Überlastung zu zeigen, denn er hat wiederkehrende Visionen in der Gestalt eines blonden Jungen in altmodischen Kleidern.

Dieses Gothic-Element ist ein recht typisches Stilmittel für Lehane, der literarisch ungemein versiert und dabei viel zu stilbewusst ist, um seine atmosphärisch perfekt gepinselten Genreromane mit zu viel explizit ausformulierter Figurenpsychologie zu verschandeln. Stattdessen verlegt er die unerklärlichen seelischen Untiefen der Charaktere entschlossen ins Metaphorisch-Figurale, was eine viel mehrdeutigere Wirkung hat als jede auktoriale Seelenexegese.

Nicht zuletzt ist Joes Geisterjunge der Gestalt gewordene rote Faden, durch den sich dieser dritte Teil der Trilogie im Aufbau von den Vorgängern unterscheidet. Während „Im Aufruhr jener Tage“ und „In der Nacht“ im epischen Saga-Stil eine chronologische, und dadurch auch chaotischere, Folge von Ereignissen wiedergeben, ist „Am Ende der Welt“ erzählerisch deutlich straffer organisiert; ja, es gehorcht nahezu den formalen Gesetzmäßigkeiten eines antiken Dramas. Als Joe vom angeblichen Mordanschlag gegen sich Kenntnis erhält, wird eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die scheinbar zwangsläufig sind. Die wahren Ursachen dieser Zwangsläufigkeit allerdings sind zu vielfältig verschlungen, als dass man sie völlig durchdringen könnte.

Nicht nur Joes plötzlich aufkeimende Paranoia treibt die Handlung auf ungute Weise voran, sondern auch der tiefsitzende Rassismus der italienischstämmigen Gangster gegen einen dunkelhäutigen Gangsterkollegen. Als einer der Italiener versucht, sich mit einem perfiden Überraschungsschlag das Einflussgebiet des Gangsters Montooth in den schwarzen Wohngebieten zu sichern, geht dieser Angriff nach hinten los. Und Joe Coughlin, der ein eiskalter Killer sein mag, aber jede Form von Rassismus verabscheut, sieht sich unversehens zwischen die Fronten geraten...

Es sind sorgsam und realitätsnah ausgestattete Gesellschaftspanoramen, die Lehane beschreibt, seine Joe-Coughlin-Trilogie hat aber auch etwas von der märchenhaften Anmutung eines Superhelden-Epos. Da ein Superheld aber nicht gleichzeitig ungestraft ein Killer sein darf, kann dieser moralische Widerspruch literarisch nur ungut für den Helden enden. Das gehört sich so und ist eine klassische Katharsis. Aber da dies darüber hinaus eben doch nicht Theben, sondern Amerika ist, entlässt Lehane seine Leser nicht mit einem rundum finsteren Ende, sondern spendiert immerhin ein kleines Happy-End für die unschuldigen Nebenfiguren. Katharina Granzin

Dennis Lehane: „Am Ende einer Welt“. Aus dem Englischen von Steffen Jacobs. Diogenes, Zürich 2015, 396 S., 24 Euro

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